Rote Teufel mit Oberwasser

Der Traditionsclub Independiente aus einem Industrievorort von Buenos Aires ist neuer argentinischer Meister. Aber die zu Ende gegangenen Saison lässt nichts Gutes hoffen für die Zukunft

aus Buenos Aires INGO MALCHER

Die Leidenschaft zu einem Fußballclub kann Wunder wirken. Die vergangene Saison hatte Independiente Buenos Aires auf dem letzten Platz der Tabelle beendet. Nur das undurchsichtige Regelkonstrukt der argentinischen Fußballliga rettete den Traditionsclub vor dem Abstieg. Seit Sonntag sind die roten Teufel argentinischer Meister. Dazwischen liegen sechs Monate, in denen neue Spieler und mit Rubén Gallego einer der erfolgreichsten Trainer des Landes verpflichtet wurden. Nicht schlecht für einen Club, der eigentlich pleite ist.

Möglich gemacht hat das Wunder der argentinische Rock-und-Pop-Unternehmer Daniel Grimbank. Der reichste Independiente-Fan des Landes füllt sonst die Stadien mit den Rolling Stones oder Guns n’ Roses. Aber nach der katastrophalen Saison konnte er das ständige Auf und Ab seines Lieblingsclubs nicht mehr ertragen. Mit anderen Unternehmern kaufte er für knapp zehn Millionen Euro die Rechte an neuen Spielern, die er bei Independiente auflaufen ließ. „Wenn ich damit ein Geschäft mache“, so der Alt-Hippie, „dann hat es sich für den Club auch gelohnt.“ Dank des Mäzens wurde der Traditionsclub am Sonntagabend nach acht Jahren wieder argentinischer Meister.

Vorausgegangen war ein spannendes Saisonfinale. Diego Maradonas heiß geliebter Verein Boca Juniors lag vor dem letzten Spieltag in der Tabelle drei Punkte hinter Independiente. Und hatte einen leichten Termin auf dem Spielplan. Die Fast-Absteiger von Rosario Central kamen zu Besuch. Grimbanks Teufel hingegen mussten bei dem international renommierten San Lorenzo antreten. Ein Patzer hätte die Meisterschaft vergeigt. Doch alles ging noch einmal gut, Independiente schlug San Lorenzo mit 3:0.

Dabei war zuletzt bei der Hoffnungstruppe der Wurm drin. Nach einem starken Saisonauftakt, bei dem Independiente extrem schnellen und geschmeidigen Fußball zeigte, wollte am Ende überhaupt nichts mehr klappen. Ein exemplarischer Fall in der argentinischen Liga. Selbst die großen Clubs, wie Boca Juniors oder River Plate, kamen nicht in Form. River Plate hatte alle seine Stürmer der vergangenen Saison nach Europa verkauft, die Nachfolger fanden nicht zusammen. Auch bei den Boca Juniors musste auf die Sparbremse gedrückt werden. Die Folge: Mittelmäßig motivierte Spieler traten ohne große Anstrengung nach dem Ball. Kein Wunder, denn fast alle argentinischen Erstligaclubs sind so gut wie pleite und Spielergehälter werden im krisengeplagten Argentinien, wenn überhaupt, erst mit Monaten Verspätung überwiesen.

Ohne risikofreudige Geschäftemacher wie Grimbank stünden viele Vereine vor dem Aus. Aber auch sie können nicht verhindern, dass der Fußballerberuf in Argentinien immer härter wird. Am Sonntag stürmten Boca-Fans beim 3:1-Sieg ihres Teams in der 31. Minute das Spielfeld, um ihre Helden zu umarmen und ihnen bei der Gelegenheit gleich die Trikots vom Leib zu reißen – sozusagen als Andenken an die Saison 2002. Mehrere Minuten lang wurde das Spiel unterbrochen, der Boca-Kader flüchtete in die Kabine. Ähnliche Szenen beim Match Independiente – San Lorenzo, als die Fans des Gastgebers den Tribünenzaun niederrissen, um zu verhindern, dass der frisch gekürte Meister Independiente in ihrem Stadion eine Ehrenrunde dreht. Zudem tobt ein brutaler Krieg zwischen den Hooligangruppen, erst vor einer Woche zog ein Fan im Stadion von Banfield eine Pistole und bedrohte bei einer Massenschlägerei die Fans der gegnerischen Mannschaft.

Daher dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis auch die Independiente-Stars Gabriel Milito und Federico Insúa nach Europa wechseln. Dabei will Grimbank an den Ruhm früherer Tage anknüpfen. 13 Meisterschaften hat Independiente in seiner Vereinsgeschichte gewonnen, zweimal holte der Club den Weltpokal. Doch das ist Geschichte. Bis sie sich wiederholt, wird es noch etwas dauern. Fürs Erste hat ein Richter die Einnahmen vom Sonntagsmatch gegen San Lorenzo schon vor dem Anpfiff gepfändet. Sie werden an den inzwischen in Athen spielenden Stürmer Livio Prieto gehen. Er hat sein Gehalt aus der vergangen Saison immer noch nicht bezogen.