Martialische Mangroven

Im Brackwasser der amerikanischen Geschichte: James Lee Burkes Thriller „Straße ins Nichts“ und „Feuerregen“ erzählen von der Hybris einer selbstgerechten Nation

Robicheaux’ Vietnam-Erfahrung steht für den Selbstverrat der zivilen Gesellschaft

Als ich meinen ersten Roman von James Lee Burke in die Hand nahm, hatte ich amerikanische Thriller satt. Das Feld schien abgegrast. Die Hauptfigur der Romanserie, der Cajun Dave Robicheaux, der als angegrauter Bulle im Süden Louisianas abwechselnd gegen Saufdruck und Kriminelle kämpfte, klang zwar interessant, aber das Strickmuster eher konventionell. Doch schon die erste Szene packte mich. Es war ein Sonnenaufgang über dem Bayou, eine Momentaufnahme voll praller Sinnlichkeit, Farbkraft und Zauber. Ich schmeckte das Salz des nahen Golfs, ahnte die Schwüle des kommenden Tages, roch an Brackwasser, Seehyazinthen und faulenden Mangroven. Dann krochen die Gespenster des Gestern hervor, zerrten Robicheaux zurück nach Vietnam, und ich sah ihn vor mir, einen verstörten, jungen Marine, die verschwitzen Finger um den Lauf einer M 16 gekrallt, gleichzeitig Jäger und gehetztes Tier.

Schönheit und Schrecken gehen bei James Lee Burke Hand in Hand. Fast alle Romane des 1938 im Delta geborenen Autors atmen die Liebe zum südlichen Louisiana, zu Sprache, Natur, Landschaft und den Menschen dort. Zugleich schildert er die Nachtseiten dieser Welt, den Rassismus, die Armut und Bigotterie – bittere Früchte einer Zivilisation, die Konflikte meist blutig und auf Kosten Schwächerer löst.

Robicheaux ist Veteran und trockener Alkoholiker. Zunächst dient er als Lieutenant bei der Mordkommission in New Orleans, hat ständig Ärger mit korrupten Kollegen und karrieregeilen Vorgesetzten, quittiert angewidert den Dienst, zieht aufs Land und eröffnet einen Bootsverleih. Bis er merkt, dass der Sumpf aus Filz und Verbrechen, vor dem er aus der Stadt geflohen ist, längst in die heile Welt seiner alten Heimat schwappt. Er wird erneut Polizist.

Robicheaux ist ein gebrochener Held, der mit dem Wahnsinn des Alltags ringt – und immer wieder daran scheitert. Denn das, was ihn quält, außer den Furien der Sucht, bleibt unbesiegbar. Es sind die Echos dessen, was er sich und anderen als Soldat angetan hat: „Ich fühle mich wie ein Aussätziger, der nicht aufhören kann, an seinen verkrusteten Wunden zu kratzen.“

Robicheaux’ Vietnam-Erfahrung steht für den Selbstverrat der zivilen Gesellschaft. Die Werte, für die er einst in den Krieg gezogen ist, werden zu Hause in Amerika mit den Füßen getreten. Die USA seien das gewalttätigste Land der Erde, erklärt Burke in einem Interview. Für ihn spiegelt der Schrecken des Ghettoalltags und das Grauen der Todestrakte wider, was State Department oder Ölkonzerne im Großen vorgeben: die Hybris einer Zivilisation, die Rücksichtslosigkeit verherrlicht, Brutalität mit Stärke verwechselt und Empathie als Schwäche bestraft.

Doch seine Wut bleibt wohltemperiert. Trotz allen Zorns, mit dem er den sozialen Verfall geißelt, und aller Wehmut, mit der er die seelische Verarmung betrauert, gerät er nie in nostalgische Verklärung. „Früher“, das weiß er, ist oft nur eine andere Variante des Übels.

Burke versteht etwas vom Handwerk. Er schreibt, seit er 19 ist, hat über zwanzig Bücher veröffentlicht und diverse Literaturpreise abgeräumt. In den USA ist er in die Bestsellerriege aufgerückt. Hollywood reißt sich um Rechte an seinen Romanen. Das war nicht immer so. Früher, erinnert er sich, habe ihn auch „bei vorgehaltener Waffe keiner veröffentlichen“ wollen.

Burkes Karriere verlief etwa so geradlinig wie ein Sumpfpfad. In den Sechzigern kurzzeitig als „neue Stimme aus dem Süden“ gefeiert, erntete sein dritter Roman bloß Verrisse. Der Vater von vier Kindern verlor seine Dozentenstelle und schlug sich unter anderem als Sozialarbeiter in Los Angeles, Landvermesser, Roughneck auf texanischen Ölfeldern und Lastwagenfahrer durch. Nebenbei schrieb er. Für Provinzblätter und die Schublade. Und er trank. Anfang der Achtziger schließlich schaffte er es, aufzuhören. Dieser Genesung, erklärt Burke, verdankt er den literarischen Durchbruch.

Geholfen hat gewiss auch der Umstand, dass die Typen, die er entwarf, politisch nicht mehr als unfein galten. Die Reagan-Ära propagierte martialische Abziehbilder männlicher Tugenden. Da waren plötzlich wieder Autoren gefragt, die über „Kerle“ schreiben konnten und den Mut besaßen, sich auf deren elende Not mit der Gewalt einzulassen.

1986 erschien Burkes „Lost Get-Back Boogie“ – zuvor von über fünfzig Verlagen abgelehnt und ein Jahrzehnt auf Halde gelegen. Er erzählt die Geschichte von Ivy Paret, einem vorbestraften Countrysänger, der nach Montana abhaut, um Frieden zu finden, und stattdessen in den Krieg zwischen einem Großbauern und Arbeitern gerät, die um ihre Jobs fürchten. Rezensenten priesen das Buch als „Ökothriller“, die New York Times lobte es als „aufbrausend bitter, authentisch wie Selbstgebrannter“. „Lost Get-Back Boogie“ wurde für den Pulitzerpreis nominiert. 1987 dann ersann Burke Dave Robicheaux und verlegte sich auf Kriminalromane. Die meisten davon sind mittlerweile ins Deutsche übersetzt.

Manche Kritiker neiden Burke den Erfolg. Sie beklagen, ihm gehe die Luft aus. Eventuell dämmert ihnen auch nur, dass ihn gehobene Unterhaltung bloß am Rande reizt und er trotzdem und deshalb längst in der gleichen Liga spielt wie William Faulkner, Carson McCullers oder Harper Lee. Der Süden ist ein fruchtbarer Nährboden für Schriftsteller. Nicht zuletzt weil er die einzige Region der USA ist, wo weißen Amerikanern das widerfahren ist, was sie sonst nur anderen bereiteten: eine Niederlage auf eigenem Territorium. Das schärft den Blick fürs Wesentliche.

CHRISTOPH ERNST

James Lee Burke: „Straße ins Nichts“. Aus dem Amerikanischen von Georg Schmidt. Goldmann, München 2002, 413 S., 9 €ĽJames Lee Burke: „Feuerregen“. Aus dem Amerikanischen von Georg Schmidt. Goldmann, München 2002, 410 S., 8,90 €