nebensachen aus tokio
: Eine Megapolis entdeckt die Langsamkeit und mehr Lebensqualität

Velotaxis und begrünte Dächern liegen im Trend

Auf der Nobelmeile Omotesando im Tokioter Trendquartier Harajuku macht gerade ein Import aus Berlin Furore: Velotaxis. Junge Paare lieben die langsamen Vehikel, die im sonst hektischen Verkehr dieses Viertels einen Kontrapunkt setzen. „Es ist ein ganz neues Erlebnis, mal nicht selbst im Gedränge zu stecken, sondern das Ganze von außen in aller Ruhe zu bestaunen“, schwärmte die 19-jährige Kunie nach einer langen Rundfahrt. Für die junge Fotoassistentin war es ein Schlüsselerlebnis. Sie will in Zukunft die Langsamkeit mehr pflegen.

Was die junge Kunie mit einer Fahrt im Velotaxi erlebt hat, steht für eine Befindlichkeit, die in diesen Tagen in Tokio oft anzutreffen ist. Jugendliche suchen nach neuen Lebensentwürfen, die ihnen den Weg aus der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Stagnation des Landes weisen. Junge Frauen und Männer im Alter Kunies sind nämlich von der Wirtschaftkrise am stärksten betroffen. Heute finden mehr als 30 Prozent der 18- bis 25-Jährigen keinen festen Job. Während die eine Hälfte in unsicheren Teilzeitjobs angestellt sind, bleibt die andere Hälfte zu Hause und lässt sich von den Eltern aushalten. In einer offiziellen Arbeitslosenstatistik sind diese Jugendlichen nirgends zu finden. Schriftsteller wie Murakami Ryu, einer der bekanntensten sozialkritischen Autoren Japans, nannte sie „die verlorene Generation“.

Die Fotoassistentin Kunie spricht gegen diesen Befund. Nippons Jugendliche kommen heute mit einer starken Portion individueller Ausdruckskraft daher, die ausländische Besucher noch vor zehn Jahren vermissten. Es gibt auch neue Ideen, die von jungen Menschen für die Verbesserung der Lebensqualität in den Städten vorgebracht werden. Viele werden inzwischen schon umgesetzt. So ist im zentralen Stadtquartier Chiyoda seit Oktober eine Rauchverbot auf den Straßen durchgesetzt worden. Für den Raucherstaat Japan gilt das als eine Sensation. Die Idee für diese rauchfreien Zonen stammten aus einem Schülerwettbewerb, der vor fünf Jahren in den Schulen des Stadtquartiers abgehalten worden war. Eine andere Initiative der Stadt Tokio, nämlich die Begrünung von Dächern, um im Sommer die Hitze zu dämmen und im Winter die Wärme in den Hochhäusern der Stadt besser zu erhalten, geht ebenfalls auf einen Ideenwettbewerb unter Jugendlichen zurück.

Diese lokalen Initiativen von jungen Japanern zeigen, dass unter dem bleiernen Mantel der zehnjährigen Stagnation zukunftsträchtige Projekte entstanden sind, die das Land in eine neue Richtung führen können. Die nächste Generation von Japanern wird sich weniger um Exportrekorde kümmern, sondern die Lebensqualität im eigenen Lande verbessern wollen.

ANDRÉ KUNZ