Die Meeresstraße der rostigen Tanker

Immer mehr russisches Öl auf Ostsee transportiert. Schiffe meist alt, aber günstig. Mehr Unfallvorsorge gibt es nicht

STOCKHOLM taz ■ Am Mittwoch letzter Woche schlug die 26-jährige „Prestige“ vor der spanischen Küste Leck. Am Samstag lief die 18-jährige „Pindar“ – ohne Doppelrumpf und Reservemaschine – vor der dänischen Insel Läsö im Kattegat auf Grund. Beide Tanker hatten in Lettland Öl geladen. Der lettische Hafen Ventispils, Endpunkt einer Ölleitung aus Russland, ist immer mehr zu einem zentralen Umschlagplatz für die Verschiffung von russischem Erdöl und von Ölprodukten geworden. Und zum Ziel von altersschwachen Tankern. Zum großen Leidwesen von Umweltschutzorganisationen und Anrainerstaaten. In den engen Schifffahrtsstraßen der Ostsee und durch Kattegat und Skagerrak in die Nordsee steigt mit jedem neuen Tankschiff das Risiko für Unfälle und Ölverschmutzungen weiter kräftig an.

Seit 1995 haben sich die Öltransporte aus Ostseehäfen mehr als verdoppelt. Neben Ventispils, aus dem in diesem Jahr vermutlich 50 Millionen Tonnen Öl verschifft werden, ist dies vor allem Primorsk in der Nähe von St. Petersburg. Im letzten Jahr nahm Russland diesen neuen Ölhafen in Betrieb, vom dem, voll ausgebaut, die staatliche Transneft jährlich 30 Millionen Tonnen verladen will. Ölpipelines aus vorhandenen Ölfeldern in Sibirien und von der nordrussischen Timan-Petjora-Provinz wurden hierhin verlängert. Lukoil plant derweil bereits im nahe gelegenen Vysotsk einen weiteren Verladehafen für Öl, Ammoniak und Methanol mit einer Kapazität von 10 Millionen Tonnen. Ölexport ist für die russische Wirtschaft immer wichtiger geworden. Nicht die Förder-, sondern die Exportkapazität war bislang ein Nadelöhr. Moskau bemüht sich, mit dem stetigen Ausbau der Verladekapazität in der Ostsee und im Nordmeer außerdem die Verschiffung des Öls in eigene Hände zu bekommen. Derzeit gehen noch große Mengen über ukrainische Schwarzmeerhäfen.

Zusammen mit dem Ölhafen von Muuga östlich von Estlands Hauptstadt Tallinn, einem Neubauprojekt im estnischen Sillamäe und einem im litauischen Butinge wird in zwei Jahren Ölverladungskapazität in der Ostsee bereit stehen, welche für jährlich mehr als 1.000 Tanker mit der im Ostseeverkehr üblichen Kapazität von 70.000 bis 90.000 Tonnen – der Größe von „Prestige“ und „Pindar“ – reichen wird. Von Muuga übrigens kam im letzten Frühjahr die „Baltic Carrier“, welche vor der mecklenburgischen Küste kollidierte und an der dänischen Küste eine Ölpest verursachte.

In den verschiedenen Ölhafen sind – wenn überhaupt – gerade einmal die technischen Voraussetzungen gegeben, um einen Ölaustritt zwischen 500 und 1.000 Tonnen einigermaßen Erfolg versprechend bekämpfen zu können. Juha Virtanen vom finnischen Umweltministerium: „Dabei muss man berücksichtigen, welche Folgen eine Ölpest hier hat. Die Ostsee ist nicht das Schwarze Meer. Die mittlere Meerestiefe ist gerade mal 40 Meter, nicht 2.000. Wir haben es also mit einer viel geringeren Wassermenge zu tun. Dazu ist es ein Binnenmeer, das Wasser wird viel langsamer ausgetauscht.“ Matti Aaltonen vom finnischen Seefahrtsamt hat vor allem Angst vor einer Kollision angesichts des immer dichter werdenden Ostseefährverkehrs, der jährlich 10 Millionen Menschen befördert. Und vor einem richtig strengen Eiswinter: „Wenn ein Tanker auf Grund läuft oder von Eisschollen aufgerissen wird – das ist mein Horrorszenario.“

Russische wie lettische Behörden haben zwar versprochen, dass im Winterbetrieb nur eisverstärkte Tankschiffe eingesetzt würden, doch haben Behörden in Skandinavien und Umweltschutzorganisationen nicht viel Vertrauen in solche Zusagen. In der Vergangenheit hat sich nämlich erwiesen, dass keine Rostlaube zu desolat und zu alt war, um in Ventispils, Muuga oder Primorsk beladen zu werden. Für Schrotttanker, die deutsche oder schwedische Häfen nicht mehr anlaufen dürfen, brauchen die meist russischen Ölexportfirmen nur ein Viertel der Heuer für einen modernen Doppelrumpftanker zahlen. Umweltorganisationen fordern daher schon lange, die Ostsee auch formal zu dem zu klassifizieren, was sie faktisch ist: ein „besonders empfindliches Meeresgebiet“ („Particularly Sensitive Sea Area“, PSS) laut den Bestimmungen der UN-Seefahrtorganisation IMO. Die Anrainerstaaten könnten dann spezielle Bestimmungen für Schiffe verhängen. Solange dürfen Einhüllen-Tanker europäische Häfen aber noch bis 2015 anlaufen.

REINHARD WOLFF