Berlin rasiert die Welt

Rasende Klingen: Im Tempelhofer Gillette-Werk werden jährlich eine Milliarde Stoppelschneider produziert, seit gestern der neue Mach 3 Turbo. Das freut den passionierten Nassrasierer Wowereit

Das Motto der Weltfirma aus Tempelhof: „Gut rasiert – gut gelaunt.“

von RICHARD ROTHER

Die Rasierklingen rasen so schnell vorbei, dass man sie kaum hinter der Plexiglasscheibe erkennen kann; das Rattern der Fließbänder schmerzt fast in den Ohren. Plötzlich ist Stille, das Band stoppt, auf dem Kontrollbildschirm leuchtet rot „Error“ auf. Maschineneinrichter Jörg Meinke bleibt gelassen, klickt zwei, drei Felder auf seinem Touchscreen und setzt die 17 Meter lange Maschine wieder in Gang: „625 Klingen pro Minute produzieren wir hier“, verkündet der Mann nicht ohne Stolz.

Einrichten, Kontrollieren, Material beschaffen – er allein arbeite für zwei, sagt Meinke, der seit 13 Jahren in der Tempelhofer Fabrik am Band steht. Kein Wunder, dass wenig Zeit bleibt, den weiten und für eine Fabrikhalle ungewöhnlichen Blick über den Flughafen Tempelhof zu genießen. Meinke ist dennoch zufrieden: Das Band, auf dem der Ausschuss von Kameras erkannt und automatisch aussortiert wird, läuft schon einige Minuten störungsfrei. Kiste um Kiste füllt sich mit nagelneuen Klingen. Meinkes Job scheint sicher.

Seit gestern ist er noch etwas sicherer geworden. Denn das Gillette-Werk Berlin beginnt mit der Produktion einer Neuentwicklung des globalen Marktführers diverser Rasierutensilien. Das Vorgängerprodukt „Mach 3“ – was so viel wie dreifache Schallgeschwindigkeit bedeutet – war in einer stets nach Superlativen verlangenden Werbewelt offenbar schon wieder zu langsam worden. Der neue „Mach 3 Turbo“ verfügt nun über „Telomer-beschichtete Klingen“. Damit soll man noch schneller durch den Bart gleiten. Zudem straffen zehn dünne Lamellen die Haut und heben die Stoppeln vor dem Schnitt an. Das führe nebenbei auch zu deutlich weniger Hautirritationen, wirbt Gillette, „sogar beim Rasieren gegen den Strich“.

Der neue Nassrasierer – ansonsten nur im Stammwerk in Boston (USA) produziert – wird in Deutschland im Februar auf den Markt kommen. Preiswert wird die neue Luxusrasur allerdings nicht: 9,99 Euro soll ein Viererpack Klingen in Deutschland kosten. Dass sich der Preis durchsetzen lässt, davon ist Gillette überzeugt. „Männer legen immer mehr Wert auf Körperpflege“, sagte Marketingdirektor Dirk Heinzl. Immerhin benutzten weltweit täglich 70 Millionen Männer das Vorläufermodell, was einem globalen Marktanteil von mehr als 20 Prozent entspreche.

Den rund 1.300 Berliner Gillette-Mitarbeitern soll es recht sein. Sie beliefern 17 Länder in Europa, den Nahen Osten und Afrika – allerdings nicht direkt. Verpackt werden die in Berlin hergestellten Klingen, ob nun der neue Mach 3 Turbo oder Gillette for Women Venus, in England, wo auch der in Boston produzierte Rasiergriff montiert wird. Maschinist Meinke: „Das scheint sich zu lohnen.“

Lohnenswert fand auch der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) gestern seinen Besuch im Tempelhofer Werk. „Als Berliner und Tempelhofer freue ich mich, dass der Mach 3 Turbo hier produziert wird“, so der überzeugte Nassrasierer. Er sei überrascht, wie viel Technik hinter der Herstellung einer einfachen Rasierklinge stecke. Dass sich das Tempelhofer Werk gegen die innerbetriebliche Konkurrenz durchgesetzt habe, beweise die Leistungsfähigkeit des Standortes. Schmerzlich habe er allerdings zur Kenntnis genommen, dass die Marketingabteilung nach Kronberg im Taunus verlagert worden sei.

Betriebsrätin Jutta Schneider begrüßt ebenfalls die neu gestartete Produktion, die im Dreischichtbetrieb gefahren wird. „Prinzipiell ist das gut.“ Das neue Produkt trage dazu bei, Arbeitsplätze zu sichern. Immerhin arbeiteten heute rund 300 Menschen mehr bei Gillette als noch vor fünf Jahren. Einen Wermutstropfen sieht die Betriebsrätin dennoch: „Den Mitarbeitern wird immer mehr abverlangt.“ Zudem würden rund 50 befristete Arbeitsverträge zum Jahresende nicht verlängert.

Wer das Unternehmen, das in Berlin auf eine 70-jährige Tradition zurückblickt, endgültig verlassen muss, kann wenigstens auf dem Parkplatz am Eingangstor Trost finden. Hier steht ein schmiedeeisernes Kunstwerk, auf dem zwei lachende Männer das Motto des Unternehmens, dessen weltweit 30.000 Beschäftigte 2001 einen Umsatz von knapp 9 Milliarden US-Dollar erwirtschafteten, verkünden: „Gut rasiert – gut gelaunt.“