Die Hoffnung stirbt im Luna-Park

Auch im Volleyball bleibt Argentinien nach der 1:3-Niederlage gegen Frankreich im Viertelfinale ein Titel verwehrt. Nunwollen viele Spieler aufhören. Einige, weil sie ihre Karriere beenden. Andere, weil sie von ihrem Sport nicht leben können

aus Buenos Aires INGO MALCHER

Wenn etwas schief geht, dann meistens in Serie, und so ist Argentinien im Sportjahr 2002 vom Pech verfolgt. Der peinlichen Vorrundenpleite bei der Fußball-WM folgte die unglückliche Finalniederlage bei der Basketball-Weltmeisterschaft, und schon deshalb sollte bei der Volleyball-WM nun endlich ein Titel herausspringen, zumal man ja als Gastgeber an den Start ging. Und siehe da: Rechtzeitig mit Beginn des Turniers war im Fußballland Argentinien das Volleyballfieber ausgebrochen. Plötzlich kannte jeder Gemüsehändler die Namen der Schmettermänner, jeder Busfahrer wusste die Regeln zu erklären, und jeder Hausmeister hörte mit dem Transistorradio die Liveübertragungen der Spiele.

Es bestand ja auch durchaus Hoffnung: Die Vorrunde durchlief die argentinische Mannschaft mit Leichtigkeit und ohne jegliche Niederlage, selbst Italien, der amtierende Weltmeister, wurde geschlagen. Vor dem Viertelfinalspiel gegen Frankreich hätten die Bedingungen jedenfalls nicht besser sein können. Zumal das Spiel im Luna-Park in Buenos Aires stattfand – jenem Ort, an dem einst die argentinische Säulenheilige Evita Perón aufgetreten war und vergangenes Jahr die Back Street Boys Teenager zum Weinen gebracht hatten. Auch ein Blick ins Archiv verleitete dazu, den Luna-Park als zusätzliches gutes Omen zu werten, so wie es die Tageszeitung La Nación tat: 17 Siege und 10 Niederlagen hatte die argentinische Volleyballnationalmannschaft in dem Veranstaltungszentrum auf ihrer Liste. Und Spielerveteran Hugo Conte (39) erklärte: „Es ist ein ganz spezielles Gefühl, im Luna-Park zu spielen. Das Publikum dort macht jedem Gegner das Leben schwer.“

Während des ersten Satzes gegen die Franzosen sah es dann auch ganz danach aus, als ob die argentinischen Träume wahr werden könnten. Mit 25:14 entschieden ihn die Argentinier für sich – und der Luna-Park bebte. Doch dann begann der Nervenkrieg. Denn schon im zweiten Durchgang hatten sich die Franzosen an die tausendfachen Pfiffe bei eigenem Aufschlag gewöhnt, es schien ihnen plötzlich nichts mehr auszumachen, dass sie nicht einen einzigen Fan auf der Tribüne sitzen hatten. Die Gäste spielten selbstbewusst auf – und verwandelten den fünften Satzball schließlich zum 29:27.

Es war der Anfang vom Ende für Argentinien. Die Abwehr funktionierte nicht mehr, der Angriff war überhastet. Trotz ihrer erfahrenen Stars Marcos Milinkovic (31), Javier Weber (36) und Hugo Conte glitt das Match den Argentiniern aus den Händen. Sie spielten uninspiriert, suchten immer wieder den im bisherigen Turnier überragenden Milinkovic. Doch dessen Schmetterbälle kamen diesmal so vorhersehbar, dass sie leichte Beute wurden für den französischen Block. Taktisch und technisch konnte Argentinien nicht mit der französischen Übermacht Schritt halten. Aber je aussichtsloser die Chancen von Conte und Co wurden, umso lauter feuerten die Fans sie an. Der Luna-Park war ein Meer von blau-weißen Fahnen.

Nur geholfen hat es nichts. Mit 24:18 gewannen die Franzosen den letzten Satz fast mühelos. Und so war am Ende im argentinischen Sport alles wie immer in diesem Jahr: Spiel um Platz fünf statt Hoffnung aufs Finale und die Erfüllung aller Träume. Mit Tränen in den Augen sprach Conte von einer „riesigen Enttäuschung“. Weber war „sehr traurig“ und gab zu: „Wir hatten große Illusionen.“ Milinkovic kletterte über die Bande und ließ sich von seiner Mutter trösten.

Die drei werden die Niederlage wohl in einigen Tagen vergessen haben. Weber hat als Profi gut verdient. Er war bei Clubs in Brasilien und Italien unter Vertrag und wird künftig als Trainer von Unisul in Brasilien arbeiten. Nach fünf Weltmeisterschaften, so viele wie kein anderer Spieler, will er aus der Nationalmannschaft zurücktreten. Auch Conte wird seine Karriere beenden, nach Stationen in Frankreich und Italien kennt auch er keine materiellen Sorgen, gleiches gilt für Milinkovic, der als Spieler bei Asystel Mailand über 300.000 Euro jährlich verdient.

Von solchen Summen können die anderen Spieler aus der argentinischen Nationalmannschaft nur träumen. Libero Pablo Meana beispielsweise jobbt neben dem Sport in der Schlosserei seines Vaters oder hilft im Gemüseladen seiner Mutter. Mit Volleyball ist in Argentinien nämlich kein Geld zu verdienen. Unter tausend Pesos liegt das durchschnittliche Spielergehalt im Monat, das sind gerade mal 270 Euro. Wobei glücklich ist, wer den Betrag pünktlich zum Monatsersten in der Hand hält; Meanas ehemaliger Club Koyote Salta bezahlte die Spieler oft monatelang gar nicht. Im Ausland hat Meana als Libero hingegen schlechte Karten. Daher sagt er: „Wenn ich nach der WM keinen guten Vertrag bekomme, höre ich auf.“

Die Viertelfinalbegegnungen: Argentinien - Frankreich 1:3 (25:14, 27:29, 23:25, 18:25); Russland - Griechenland 3:0 (25:22, 25:22, 25:21); Italien - Brasilien 2:3 (23:25, 23:25, 25:23, 28:26, 13:15); Portugal - Jugoslawien 0:3 (20:25, 23:25, 16:25)