Niemand hört das Parfüm

Die Dekade, die alles änderte: Die mexikanischen Filme „Cabeza de vaca“ und „Perfume de violetas“ auf dem Mexartes-Festival im Haus der Kulturen der Welt

Die Jahre zwischen 1991 und 2001 – für den mexikanischen Film entscheidend

Es gibt eine Szene, da sitzen die beiden zusammen in der Badewanne, Miriam mit ihren dunklen Zöpfen und Yessica mit dem runden Pony. Die Wanne schwappt fast über, und aus dem Schaum sehen nur die Köpfe der Mädchen hervor, und ab und zu ein Bein, bei dem man nicht genau weiß, welcher der beiden es gehört. Miriam und Yessica sind Freundinnen, die alles miteinander teilen, die Schulhefte, die Badewanne und die Geheimnisse. So lange, bis es ein Geheimnis gibt, das Yessica aus Scham und aus Angst nicht einmal Miriam erzählt: Sie ist von ihrem Stiefbruder Jorge entführt und von dessen Freund El Topi brutal vergewaltigt worden, von beiden wird sie unter Druck gesetzt – Yessica schweigt, und je länger sie schweigt, desto auswegloser wird die Situation, ihre eigene, aber auch die von Miriam.

„Perfume de violetas, nadie te oye“ („Veilchenparfüm, niemand hört dich“) heißt der Film der Mexikanerin Maryse Sistach, und tatsächlich: So laut Yessicas Schweigen auch wird, niemand hört es, bis es zur Katastrophe kommt. Zwischen diesem Film und „Cabeza de vaca“ von Sistachs Landsmann Nicolás Echevarría liegt eine Dekade: die der Neunzigerjahre. „Cabeza de vaca“ wurde 1991 gedreht, „Perfume de violetas“ 2001. Für die Entwicklung des mexikanischen Films waren diese zehn Jahre entscheidend. In dieser Zeit kam es zu einem gewissermaßen „politischen“ Strukturwandel, der die bisherigen staatlich geförderten Produktionen endgültig verabschiedete und alle Schritte von der Produktion bis hin zum Verleih und Vertrieb der Filme ausschließlich in die Hand der Filmemacher selbst gab. Der Wandel schloss schließlich darüber hinaus die lange geforderte Neufassung des Filmgesetzes mit ein – aber wichtiger noch war wohl die Tatsache, dass eine neue Generation von Regisseuren von sich reden machte, die mit ihren Filmen selbst für grundlegende Veränderungen im mexikanischen Kino sorgte.

Zu dieser neuen Generation gehören Maryse Sistach, deren Filme mehrfach ausgezeichnet worden sind, und Nicolás Echevarría, der eigentlich vom ethnologischen Dokumentarfilm kommt: „Cabeza de Vaca“ ist sein erster Spielfilm, und man spürt bei diesem Debüt deutlich die Erfahrung des Regisseurs als Dokumentarfilmer. Dennoch: „Cabeza de Vaca“ ist aufwändig recherchiert und hat dokumentatorischen Anspruch, aber trotzdem bleibt Raum für ausschweifende Bilder, die sich einprägen. Alvar Nuñez Cabeza de Vaca, zu Deutsch: Kuhkopf, ist im 16. Jahrhundert Schatzmeister des spanischen Königs und erleidet mit den Resten eines königlichen Expeditionscorps vor der Küste Floridas Schiffbruch. Er gerät dort in die Gefangenschaft eines Schamanen, der ihn zu seinem Sklaven macht. Der Zusammenprall der zwei Welten könnte heftiger nicht sein: Auf der einen Seite der vernunftbetonte, „zivilisierte“ Europäer, auf der anderen der kleinwüchsige indianische Schamane, den man nicht nur deshalb nicht versteht, weil man seine Sprache nicht beherrscht, sondern vor allem deshalb, weil man sein Handeln nicht begreift. Allmählich lernt Cabeza de Vaca jedoch Sitten und Gebräuche der Ureinwohner ebenso wie ihre Sprache kennen – mit dem Erfolg, dass der Zusammenprall von zwei Welten jetzt auch in ihm selbst stattfindet. Echevarría stützt sich bei diesem Film auf die Aufzeichnungen des echten, des historischen Entdeckers Cabeza de Vaca, der seine Erinnerungen nach seiner Rückkehr unter dem Titel „Naufragios“, Schiffbrüche, veröffentlicht hat.

In diesem Film also der Zwiespalt zwischen zwei Kulturen, der sich in seinem ganz eigenen Rhythmus fortentwickelt und der bei Echevarría prägend für seine Beschäftigung mit der eigenen Geschichte ist. Der andere Film, Maryse Sistachs Erzählung von der Freundschaft zwischen Miriam und Yessica im Mexiko-Stadt der Gegenwart, behandelt trotz aller Unterschiede in Thema und Technik einen ebenso problematischen Zwiespalt, den nämlich zwischen dem Wunsch, sich mitzuteilen, und der Unfähigkeit, genau dies zu tun. Auch diese Geschichte basiert auf gewissermaßen historischen Fakten: Miriam und Yessica hat es tatsächlich gegeben, das Filmprojekt nahm seinen Anfang bei einem Schauspiel-Workshop mit Teilnehmerinnen aus einem Außenbezirk von Mexiko-Stadt, die etwa so alt waren wie Yessica und Miriam im Film. ANNE KRAUME

„Perfume de violetas“: heute um 20 Uhr im Rahmen des Festivals Mexartes im Haus der Kulturen der Welt, „Cabeza de vaca“ am Sonntag um 18 Uhr. Jeweils anschließend Filmgespräch mit Maryse Sistach und Nicolás Echevarría.