Unbekannte Wähler

Eingebürgerte Türken neigen zur SPD, fürchten aber eher die Ökosteuer als ein restriktives Einwanderungsgesetz

Auch Migranten haben am Sonntag das knappe Ergebnis zwischen Rot-Grün und Schwarz-Gelb bei den Bundestagswahlen mitentschieden, zumindest die, die sich bis dahin haben einbürgern lassen. Nur wie sie wählen, kann niemand genau sagen. Statistiken in diesem Bereich seien sehr schwierig, heißt es in Fachkreisen. Manfred Güllner, Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts Forsa, jedoch schätzt, dass diese Wähler rund 0,8 Prozent der Gesamtwähler ausmachen. Die meisten seien eher SPD-nah, sagt er.

Diesen Eindruck bekommt auch, wer sich mit den türkischen Migranten in Berlin oder anderswo über die deutsche Politik unterhält. Sie beklagen sich, keine der deutschen Parteien würde sich um die Probleme und Interessen der Migranten kümmern. „Doch“, fügten die meisten vor den Wahlen hinzu, „ich werde die SPD wählen. Denn sie ist die einzige deutsche Partei, die uns ein kleines bisschen sympathisch findet.“

Ob sie dann tatsächlich an die Urne gingen, muss wieder unbeantwortet bleiben. Wenn ja, dann dürfte ihnen die SPD dankbar sein, denn könnten es nicht genau diese Stimmen gewesen sein, die den Sozialdemokraten letztendlich den Gleichstand mit der CDU brachten? Aber die Konkurrenz schläft nicht. Ein junger Türke an einem Gemüsestand am Kottbusser Tor erzählt, wie der christdemokratische Kandidat um ihn geworben habe. „Er hat gesagt, nach der Wahl solle ich mich an ihn wenden. Er würde sich darum kümmern, dass ich einen deutschen Pass bekomme.“

Die Wahlkampagne von CDU und FDP scheint auch an anderen türkischen Migranten nicht vorbeigegangen zu sein. Eine junge Türkin mit Kopftuch zeigt sich am Montag besorgt über das Wahlergebnis: „Ich weiß, dass wir Ökosteuer zahlen werden. Das Benzin wird teurer. Ich glaube, es wird viel Schlimmes passieren. Für uns wird es schlecht. Letztendlich werden sie in unsere Tasche greifen.“

Eine Mittdreißigerin erzählt, sie habe die CDU gewählt. „Aber es hat nicht geklappt“, sagt sie, „und was die jetzt machen wollen, das weiß ich nicht. So weit kann ich nicht denken.“ Ein junger Türke berichtet davon, dass er die Wahlen am Fernsehen verfolgt habe, und drückt aus, was viele Migranten heute fühlen: „Inschallah wird alles gut. Auch 1998 hatten sie viel versprochen. Aber ich glaube nicht daran. Denn für sie sind wir immer noch Ausländer. “ CEM SEY