Politik darf doch verbieten

Verbraucherurteil des Europäischen Gerichts am Beispiel Antibiotika: Klage von Pharma-Firmen gegen Verbot ihrer Produkte abgelehnt. Vorsorgeprinzip siegt

FREIBURG taz ■ Auch ohne klare wissenschaftliche Grundlage können bedenkliche Stoffe im Tierfutter verboten werden. Dies entschied gestern das Europäische Gericht erster Instanz (EuG) in Luxemburg. Die Richter bestätigten damit ein EU-weites Verbot von bestimmten Antibiotika in der Tierernährung.

Geklagt hatten die Firmen Pfizer (auch Hersteller von Viagra) und die US-amerikanische Alpharma, die die Antibiotika Virginiamycin und Zink-Bacitracin herstellen. Für beide Mittel, die früher häufig in kleinen Dosen als Wachstumsförderer dem Tierfutter beigemischt wurden, erließ der EU-Ministerrat 1998 ein Fütterungsverbot. Damals wurden insgesamt vier der damals zugelassenen Wachstumsförderer aus dem Tierfutter verbannt. Er reagiert damit auf Bedenken, dass die Tiere eine Resistenz gegen die betreffenden Antibiotika entwickeln könnten und dass sich diese schließlich über die Nahrungskette auch auf den Menschen übertrage.

Pfizer und Alpharma hielten dieses Verbot für unzulässig, da die Gefahr nicht wissenschaftlich belegt sei. Vielmehr habe die EU nur dem politischen Druck von Verbraucherschützern und Umweltbewegung nachgegeben. Im einen Fall hatte der zuständige wissenschaftliche Ausschuss der EU von einem Verbot abgeraten, im anderen Fall war er gar nicht gefragt worden.

Die Europarichter entschieden nun, dass das Verbot gerechtfertigt war, weil es auf das „Vorsorgeprinzip“ gestützt werden konnte. Demnach darf die Politik über wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse hinausgehen, wenn die Sachlage eingehend wissenschaftlich analysiert wurde und die politischen Maßnahmen den „Schutz der menschlichen Gesundheit“ bezwecken.

In beiden Fällen sahen die Luxemburger Richter diese Voraussetzungen erfüllt. Entweder sei der zuständige wissenschaftliche Ausschuss der EU angehört worden oder der Ministerrat habe sich auf gleichwertigen anderen wissenschaftlichen Sachverstand verlassen. Im Fall Zink-Bacitracin erkannte das EuG an, dass die EU im Rahmen eines „horizontalen Ansatzes“ alle Produkte einer Antibiotika-Familie verbieten wollte. Deshalb sei eine spezielle Befragung des wissenschaftlichen Ausschusses nicht erforderlich gewesen. Beide Fütterungsverbote seien daher nicht unverhältnismäßig, folgerte das Gericht.

Das Vorsorgeprinzip haben die beiden Luxemburger EU-Gerichte auch schon früheren Entscheidungen, etwa zu BSE-Gefahren, zugrunde gelegt. Noch nie aber haben die Richter so deutlich dargelegt, dass die Risikobewertung aus zwei Schritten, einem wissenschaftlichen und einem politischen, besteht.

Das Urteil bezog sich ausdrücklich auf eine Mitteilung der EU-Kommission aus dem Jahr 2000 und stärkte damit das politische „Risikomanagement“ bei umstrittenen Substanzen.

Die Entscheidung dürfte auch außerhalb des Tierfutterrechts große Bedeutung haben. Gegen das Urteil des EU-Gerichts erster Instanz ist noch ein Rechtsmittel zum Europäischen Gerichtshof möglich. (Az.: T-13/99)

CHRISTIAN RATH