„Sprachkenntnisse und lange praktische Erfahrung“

Helmut Rannacher, Verfassungsschutzchef in Baden-Württemberg, über die Probleme bei der Beobachtung islamistischer Gruppierungen

taz: Herr Rannacher, wie beobachten Sie islamistische Gruppierungen?

Helmut Rannacher: Rund achtzig Prozent unserer Informationen stammen aus offenen Quellen. Aber wir müssen künftig noch stärker verdeckt arbeiten.

Das ist vermutlich nicht so einfach …

Nein, man kann kaum V-Leute in solchen Strukturen unterbringen, wenn sie nicht exakt den gleichen Hintergrund haben.

Also müssen Sie Telefone abhören und E-Mails lesen?

Da sind die Hürden aber sehr hoch. Bei uns muss jede Abhöraktion von der G-10-Kommission des Landtags [Art. 10 des Grundgesetzes garantiert das Fernmeldegeheimnis, d. Red.] in einem komplizierten Verfahren genehmigt werden.

Werden seit dem 11. September Abhörmaßnahmen leichter genehmigt?

Nein, da ist mir keine Änderung aufgefallen.

Wenn Sie Islamisten abhören dürfen, verstehen Sie dann auch, was gesprochen wird?

Es gibt arabische Dialekte, da sind selbst Menschen, die mit der arabischen Sprache aufgewachsen sind, machtlos. Wir können nur versuchen, mit einer ganzen Palette von Experten möglichst viel abzudecken.

Sind auch Schreibweise und Aufbau arabischer Namen für Sie eine Herausforderung?

Gelegentlich schon. Da können Sie nicht normale Beamte dransetzen. Gefragt sind hier Sprachkenntnisse und lange praktische Erfahrung. Andererseits müssen puristische Islamwissenschaftler sich darauf einstellen, dass bei den Muslimen in Deutschland eine ganz eigene Kultur entstanden ist. Wir begleiten hier einen lebendigen Prozess.

Dass der Verfassungsschutz die Namen von beobachteten Islamisten richtig schreiben kann, garantiert noch nicht, dass Sie diese Namen auch in sonstigen öffentlichen Akten und Dateien wiederfinden.

Stimmt. Wie Polizei oder Ausländerbehörden solche Namen aufschreiben, ist manchmal abenteuerlich.

Auch die Polizei wird gegen Islamisten immer stärker aktiv. Gibt es hier Überschneidungen mit Ihrer Arbeit?

Die Polizei nutzt unseren Sachverstand, weil sie bisher keine Islamwissenschaftler eingestellt hat. Im Übrigen tauschen wir regelmäßig Erkenntnisse aus.

Nach wie vor besteht das verfassungsrechtliche Gebot der Trennung von Polizei und Geheimdiensten. Inwiefern gilt dieses Prinzip noch, wenn Sie mit der Polizei doch so gut zusammenarbeiten?

Die Aufgaben unterscheiden sich deutlich. Die Polizei sucht nach Straftätern und bisher unerkannten Terroristen. Wir dagegen sammeln Informationen, um Regierung und Öffentlichkeit über Lageentwicklungen zu informieren.

Gerade im Bereich Islamismus ist die Polizei aber auch stark in der Vorfeldaufklärung tätig. Wird hier nicht manche Arbeit doppelt gemacht?

Es stimmt, da verwischen sich die Unterschiede etwas.

Ist das eine Gefahr für das Trennungsgebot oder entsteht hier eher eine Konkurrenzsituation?

Manchmal gibt es schon so etwas wie Konkurrenzdenken zwischen Polizei und Verfassungsschutz, aber das kann ja auch förderlich sein.

Das im letzten Dezember vom Bundestag beschlossene Sicherheitspaket II hat dem Verfassungsschutz neue Befugnisse verschafft …

… die für die Verfassungsschutzbehörden der Länder nicht direkt gelten. Eine Änderung der jeweiligen Landesgesetze ist allerdings geplant. Ich gehe davon aus, dass Gesetzentwürfe noch in diesem Jahr vorgelegt werden.

Von welcher Einzelmaßnahme versprechen Sie sich den größten Nutzen für Ihre Behörde?

Es ist wichtig, dass wir konkrete Informationen aus der Sicherheitsüberprüfung von Personen jetzt auch in der Facharbeit nutzen können. Voranbringen wird uns auch, dass wir künftig im Bankenbereich ermitteln dürfen, um einige Aspekte zu nennen.

Der große öffentliche Wirbel um das neue Gesetz dürfte die Abschottungstendenzen in der islamistischen Szene deutlich erhöht haben. Unter dem Strich haben Sie vielleicht mehr Befugnisse, aber auch schwierigere Bedingungen.

Da ist leider etwas dran.

INTERVIEW: CHRISTIAN RATH