Von den verborgenen Schätzen Berlins

Heute ist wieder Lange Nacht der Museen. Was gibt es da noch zu entdecken?, fragte sich Thilo Kunzemann und ging ins Museum für Naturkunde

Ein deutsches Diamantenlager im Nördlinger Ries

Eigentlich gibt es Diamanten nur rund 150 bis gar 700 Kilometer unter der Erdoberfläche. Dort sind Hitze und Druck groß genug, um verrotete Pflanzen und Tiere in Diamanten zu verwandeln. Ein Prozess, der Jahrtausende dauert. Beim Einschlag eines rund 700 Meter großen Meteoriten auf der Schwäbischen Alb bei Nördlingen vollzog sich diese Metarmorphose innerhalb von Sekundenbruchteilen. Mit geschätzten 72.000 Stundenkilometern bohrte sich der Stein durch einen 600 Meter hohen Gebirgskamm und schuf einen 24 Kilometer großen Krater, das Ries. Bei seinem Aufprall erzeugte der Meteorit einen unvorstellbar hohen Druck. 45 bis 55 Giga-Pascal, vermutet der Mineralogie-Kurator des Naturkundemuseums, Dr. Ralf-Thomas Schmitt. Graphit, das im Einschlagsgebiet vorkommt, verschmolz zu so genannten Impaktdiamanten. Rein rechnerisch wären die Vorkommen abbauwürdig, in 20 Tonnen Gestein befindet sich 1 Gramm Impaktdiamanten. Doch die sind viel zu klein (hier: 11 mm)

Das letzte in Freiheit lebende Exemplar verschwand

Ein wissenschaftlicher Report aus dem Jahre 2000 kürte den fast 60 cm großen, blaugrauen Ara zum „seltensten Papagei der Welt“. Ein Männchen lebte damals noch an den Ufern des São Francisco im Nordosten Brasiliens. Weil er kein Spix-Araweibchen fand, wählte der einsame Vogel ein Papageienweibchen anderer Art. Die Eier aber blieben unfruchtbar. Der Versuch, das Tier mit einem in Gefangenschaft großgezogenen Spixweibchen zu paaren, scheiterte tragisch. Das ahnungslose Weibchen flog gegen eine der Überlandleitungen, die das Brutgebiet der Vögel durchkreuzen, und starb.

Im Herbst vergangenen Jahres verschwand auch der letzte Spix spurlos. Nur in Gefangenschaft leben noch einige Exemplare. Bei Schwarzmarktpreisen von bis zu 20.000 Dollar pro Tier ist es nur eine Frage der Zeit, dass auch andere Papageienarten verschwinden. Das Tier auf unserem Bild stammt aus dem Jahre 1914 und gehört zu den weltweit nur wenigen Museumsexemplaren.

Ein wahrer Museumsschatz, der Schwertstör

Der schrumpelige, etwa 110 Zentimeter lange Chinesische Schwertstör gehört zu den wertvollsten Exponaten des Berliner Naturkundemuseums. Eduard von Martens hatte diesen merkwürdigen Fisch am 3. März während der Preußischen Ostasienexpedition 1861 „im Hause eines chinesischen Fischhändlers zu Woosung“ entdeckt und präpariert.

Sein nächster Verwandter ist nicht der Belugastör, sondern der Nordamerikanische Löffelstör, der auch im Aquarium des Zoologischen Gartens zu sehen ist. Der Chinese hingegen existiert wohl nur noch als Museumspräparat. Das riesige Staudammprojekt am Jangtse, dem Heimatgebiet der Schwertstöre, schneidet den Fischen ihren Weg in die Laichgründe im Oberlauf des Flusses ab. So wird nach rund 200 Millionen Jahren der größte asiatische Süßwasserfisch einfach verschwinden. Angeblich können Exemplare bis zu sieben Meter lang werden. Ein Drittel davon misst der schwertförmig verlängerte Stirnfortsatz.

Der Trost eines Kriegsgefangenen in Berlin

Nur ein heller Fleck ist nach fünfzig Jahren an Herrn Richellis Wohnzimmerwand in Verona geblieben. Ein Falter hing hier hinter Glas. Ein schönes Tier, aber wertlos: Die Farben des Caligo brasiliensis waren verblichen.

Viel schöner sehen die präpararierten Schmetterlinge des Naturkundemuseums aus. Richtig konserviert, zeigen sie auch nach Jahrzehnten noch klare Farben. Trotzdem steht auf dem Tisch von Schmetterlings-Kurator Oliver Coleman der graue Falter aus Verona. Herrn Richellis Geschichte macht ihn wertvoll. Der Italiener, der im Krieg auf Umwegen nach Berlin gelangt war, weigerte sich im Sommer 1944, wieder für Mussolini in den Krieg zu ziehen. Als Zwangsarbeiter in einer Weißenseer Rüstungsfabrik überlebte er einen Bombenangriff. Kurz vor Kriegsende fand er unter Trümmern seinen Schmetterling, mitten in der Verwüstung ein Schatz. Ein halbes Jahrhundert später schenkte Herr Richelli den Falter dem Museum – dem „rechtmäßigen Besitzer“, wie er glaubte.

Ein Gruß vom Rande des Universums

Gut Ding will Weile haben. 55 Jahre ruhte ein Bruchstück des Meteoriten von Rumuruti (Kenia) in der Meteoritensammlung des Naturkundemuseums. Unter gleißend hellen Blitzen und lauten Explosionen war der mehrere Kilo schwere Brocken im Januar 1934 im ostafrikanischen Rift Valley eingeschlagen. Doch erst 1993 wurde die wissenschaftliche Bedeutung des 67 Gramm schweren Stücks entdeckt.

Im Gegensatz zu den meisten anderen Meteoriten stammt Rumuruti nicht aus dem Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter. Nur bei sehr geringen Sauerstoffgehalten können so ungewöhnliche Gold-, Platin-, Iridium- und Osmiumverbindungen entstehen, wie sie das Fragment aufweist. Rumuruti stammt also aus sehr entlegenen Regionen unseres Sonnensystems, und er weiß davon zu berichten: Aufnahmen mit dem Rasterelektronenmikroskop geben Auskunft über die Bedingungen, die vor viereinhalb Milliarden Jahren am Rand des längst verschwundenen Solarnebels herrschten.

Ein Buttermilcherz ist das älteste Sammlerstück

Bis ins 19. Jahrhundert hinein schürften Bergarbeiter im Harz nach Silber. Dabei stießen sie auf eine seltsam flüssige Masse. „Sieht aus wie Buttermilch“ – lautete der erste Kommentar der Kumpel. Und da die Substanz nach erstem Luftkontakt zu einem bröseligen Erz gerann, tauften sie die Masse Buttermilcherz.

An der Probe, die Ralf-Thomas Schmitt, der Kurator der mineralogischen Sammlung, aus seinem Archiv holt, heftet noch der 1726 geschriebene Begleitzettel. Darauf stehen Fundort, Fundjahr und Finder: Zeche St. Georg bei St. Andreasberg, 1617, Bergmeister Johann Funcken. 25 Taler zahlte Dietrich Ludwig Gustav Karsten, Verwalter des Königlichen Mineralienkabinetts, 1790 für das Stück. Aus seiner Sammlung erwuchs das heutige Museumsinstitut für Mineralogie. Und das wächst weiter. Stirbt ein Privatsammler, vermacht er seinen Nachlass oft dem Museum. In den Lagerstätten im Harz finden sich keine Buttermilcherze mehr. Sie sind schon lange restlos ausgebeutet.

Ein Seepockenexperte namens Charles Darwin

Das weltbekannte Naturkundemuseum in der Invalidenstraße ist im Besitz eines besonderen Buches. Stolz präsentiert Krebs-Kurator Dr. Oliver Coleman die restaurierten Bände der kleinen Fachbibliothek seines Arbeitszimmers. Ein dreibändiges Werk über die Seepocken hat es ihm angetan. Denn der Autor ist kein Geringerer als der Begründer der Evolutionstheorie, Charles Darwin. „Origin of the Species“ kennen viele. „Dass Darwin aber ein ausgewiesener Seepockenexperte war, ist nur einigen Fachleuten bekannt.“ Stolz ist Coleman auch auf einige Originalproben des berühmten Biologen. „Ob die Handschrift auf dem Etikett wirklich von Darwin stammt, wissen wir nicht. Aber das Präparat hat er mit Sicherheit persönlich gesammelt.“ In einer klaren Alkohollösung schwimmen einige Seepocken-Exemplare, konserviert seit rund 150 Jahren. Die Tiere leben auf der ledrigen Haut unterschiedlichster Walarten, haften sich an Schiffsrümpfe oder an Hafenmauern. Auf seinen Forschungsreisen sammelte Darwin Exemplare aus den verschiedensten Weltmeeren.

Fidel Castros Langusten als Glücksbringer

„Wissenschaftliche Bedeutung gleich null“, lautet der nüchterne Kommentar des Krebs-Kurators des Naturkundemuseums. Dass Dr. Oliver Coleman das präparierte Langustenpaar trotzdem ehrt, spricht für seinen erweiterten Wissenschaftsbegriff. „Die hat Fidel Castro bei einem Staatsbesuch Erich Honecker geschenkt.“

Als er vor einigen Jahren seinen Job im Museum antrat, fand er das vergessene Gastgeschenk auf einem verstaubten Regal. Eine kleine Widmung auf den Holzplatten der Präparate brachte ihn auf die richtige Spur. Wie die hummerähnlichen, fast einen halben Meter langen Tiere ins Museum gelangten, ließ sich allerdings nicht mehr rekonstruieren. Eine Vermutung, warum Erich Honecker gerade mit Langusten beglückt wurde, hat Coleman aber doch. „Langusten gelten als eine Art Glücksbringer. Ich glaube, sie versprechen Wohlstand und Erfolg.“ Erich Honecker und der DDR konnten sie nicht mehr helfen. Bleibt zu hoffen, dass das Naturkundemuseum als neuer Besitzer etwas mehr davon profitiert.

Vom Metallblock zur ersten Theorie der Meteorite

Als Zar Alexander I. 1803 Berlin besuchte, befanden sich Stücke des 700-Kilo-Meteoriten von Krasnojarsk in seinem Gepäck. Der russische Herrscher überreichte sie König Friedrich Wilhelm III. als Staatsgeschenk, so gelangten die wertvollen Bruchstücke ins Naturkundemuseum.

Berühmt geworden waren sie durch die erste wissenschaftlich fundierte Meteoritentheorie von 1794. Der Physiker Ernst Florenz Friedrich Chladni hatte eine Probe des riesigen Metallbrockens analysiert und als kosmische Materie identifiziert: eine Sensation. Lange Jahre hatte der verrostete Brocken in der Nähe des sibirischen Flusses Jenissei in Krasnojarsk herumgelegen. Einheimische berichteten nur, dass der Block vom Himmel gefallen sei. Um 1750 transportierte ihn ein Schmied in sein Heimatdorf, und erst Jahre später, 1771, stieß der Berliner Forschungsreisende Peter Simon Pallas auf den Meteoriten. Er beschrieb Fundort und Zustand, ließ sich vom Schmied einige Proben absägen und verschickte diese an befreundete Forscher. Der gesamte Block ruht noch heute in St. Petersburg.