Keine Freunde

Hamburg bleibt Hochburg der Neonazi-Szene: Trotz scheinbarer Ruhe ist sie weiterhin aktiv. Neue Strukturen und Subkulturen entstehen

„Nur einen einzigen Kameraden getroffen, der zugleich mein persönlicher Freund war.“

von PETER MÜLLER und ANDREAS SPEIT

Um die militante Hamburger Neonazi-Szene scheint es ruhiger geworden zu sein. Für Innensenator Ronald Schill im Mai ein Indiz dafür, dass die Szene „politisch an Bedeutung verloren hat“. Der Schein trügt. Hamburg ist weiterhin die Hochburg der rechten Szene um die Chefideologen und Freien Nationalisten Christian Worch und Thomas Wulff. Das bestätigt im Prinzip auch Hamburgs Vize-Verfassungsschutzchef Manfred Murck: „Die Personalressourcen und das Potenzial sind noch da, die Erscheinungsform hat sich nur geändert, ist diffuser geworden.“

In der Tat haben sich die Aktivitäten der Galionsfiguren Wulff und Worch verlagert – auch eine gewisse Arbeitsteilung ist seit der Planung des Schulungszentrums Am Holz bei Boizenburg eingetreten. Während sich Worch vornehmlich darum kümmert, kampagnenartig in anderen Bundesländern – zuletzt in Sachsen – Nachwuchs zu rekrutieren und neue Strukturen aufzubauen, hält Wulff die Kameraden bei Laune.

So war er maßgeblich zusammen mit dem Hamburger Rechtsanwalt Jürgen Rieger am Wochenende an der Organisierung des Gedenkmarsches mit 2500 Rechten für den sogenannten Hitler-Stellvertreter Rudolf Hess in Wunsiedel in Bayern beschäftigt. Auch wenn Wunsiedel gut 800 Kilometer entfernt liegt, sind die Vorbereitungen über Hamburg koordiniert worden. Dabei wurde die Infrastruktur des Aktionsbüro Norddeutschland genauso genutzt wie die Internetseite www.widerstand.com.

„Wulff ist aber nicht als Cheforganisator zu bezeichnen“, sagt Murck. „Er hat an Profil verloren und nicht mehr so einen strahlenden Ruf.“ Selbst die „Kameradschaft Bramfeld“ – Nachfolger des verbotenen „Hamburger Sturm“ – stütze Wulff nicht mehr wie noch vor zwei Jahren, sie übe zunehmend Zurückhaltung.

Das Jobsharing zwischen Worch und Wulff lässt die Szene in einem anderem Licht erscheinen, obwohl sie nicht ideologisch gespalten ist. Worch besitze „kaum emotionale Anbindungen“ oder richtige „Verbündete“, konstatiert Murck. Daher werde der gelernte Anwaltsgehilfe bundesweit eher als der „Advokat“ angesehen, der Aufmärsche juristisch durchsetzt. Worch selbst kennt seine Isolation, die er vor wenigen Monaten in einem Brief an Kameraden, welcher der taz hamburg vorliegt, so beschreibt: „In den 24 Jahren meiner politischen Aktivitäten“, klagt er, sei er nur auf „einen einzigen Kameraden getroffen, der zugleich mein persönlicher Freund war“.

Dennoch ist Worchs Funktion als Rekrutierer nicht zu unterschätzen, zumal er sich zunehmend der rechten Musikszene zwischen grölenden Skinheads und überzeugten Neonazis widmet, deren Konzerte er neuerdings juristisch durchzusetzen versucht.

Schon mit der Durchsetzung rechter Aufmärsche vor den Gerichten hatte Worch der Szene Auftrieb, Stabilität und Publizität gegeben. „Die Subkulturen gewinnen wieder an Bedeutung, ohne einen klaren politischen Kurs“, bestätigt Murck.

Auch darauf ist die Hamburger Szene vorbereitet: Allein vier Versandhandel für rechte Devotionalien befinden sich in Hamburg.