Streit um Geburten

In Peru ist ein Bericht über Zwangssterilisierung Anlassfür die Diskreditierung jeglicher Art von Geburtenkontrolle

PORTO ALEGRE taz ■ Héctor Chávez sah seine Stunde gekommen. Wegen „Völkermordes“ werde er Alberto Fujimori anklagen, sagte der peruanische Abgeordnete. Seit Jahren gehört der Arzt zu den prominentesten Kritikern der Familienplanungspolitik von Expräsident Fujimori, durch die er das Bevölkerungswachstum unter Kontrolle bringen wollte. Als Vorsitzender des Gesundheitsausschusses nahm Chávez letzte Woche einen Bericht des Gesundheitsministeriums über Zwangssterilisierungen entgegen.

Demnach wurden zwischen 1993 und 2000 knapp 300.000 Frauen sterilisiert. 90 Prozent von nun 507 Befragten aus fünf Provinzen gaben an, sie seien zu den Eingriffen gezwungen worden. Koordiniert wurde die staatliche „Familienplanungskampagne“ von hohen Beamten des Präsidentenpalastes und den jeweiligen Gesundheitsministern. Fujimori sei monatlich über die Anzahl der als „freiwillig“ bezeichneten Sterilisierungen informiert worden. ÄrztInnen und Krankenschwestern wurden zur Erfüllung von Quoten gedrängt.

Mit Falschinformationen und der Ankündigung von Strafen setzten die Behörden die indigene Bevölkerung in ländlichen Gebieten unter Druck. Häufig sei mit dem Entzug medizinischer Betreuung gedroht worden. Chávez’ parlamentarischer Untersuchungskommission liegen bisher Berichte über 18 Todesfälle wegen unsachgemäß ausgeführter Sterilisierungen vor.

Die Fakten sind skandalös, aber alles andere als neu. Viel ausführlicher hatte bereits 1998 die Feministin Giulia Tamayo die systematischen Menschenrechtsverletzungen an Hunderten von Frauen dokumentiert. Neu ist nur der plumpe Manipulationsversuch bei der Präsentation des Berichts: Mit der Umfrage, die kaum repräsentativ sein dürfte, sollte der Eindruck erweckt werden, die Anzahl der Zwangssterilisierungen gehe in die Hunderttausende.

Die Frauenrechtlerin Rocío Villanueva kann sich das nicht vorstellen. Ihr Büro ermittelt seit 1997 und hat bisher 157 Fälle registriert, in denen Frauen gegen ihren Willen sterilisiert wurden. Insgesammt seien bei ihr rund 700 Beschwerden eingegangen, so Villanueva.

Nicht nur Feministinnen wittern eine Strategie fundamentalistischer Kreise, um staatliche Maßnahmen zur Geburtenkontrolle pauschal zu diskreditieren. Wie sein Vorgänger ist Gesundheitsminister Fernando Carbone als konservativer Christ bekannt, der Geburtenkontrolle jeglicher Art ablehnt. In den USA steht die entwicklungspolitische Behörde USAID, die das peruanische „Programm zur Unterstützung der reproduktiven Gesundheit“ mit Millionenbeträgen fördert, bereits seit Jahren unter Beschuss.

Für arme Frauen werde es immer schwieriger, sich in staatlichen Kliniken sterilisieren zu lassen, beklagt das Frauenzentrum „Flora Tristán“ in Lima. Geht es nach Héctor Chávez, wird ihr Rechtsanspruch darauf bald ganz aufgehoben.

GERHARD DILGER