nebensachen aus warschau
: Zum Schnell-Rendezvous ins „Soma“

Fleischbeschau im Minutentakt

Alle drei Minuten ein Mann! Zeit ist Geld! Der erste Eindruck ist der wichtigste. In Polens Hauptstadt ist Tempo angesagt. Atemlos verfolgen die Jungen ihre Karriere, zum Essen rennen sie zu McDonalds, und nun können sie sich auch in drei Minuten verlieben. Die „szybka randka“ ist der neueste Partyhit, das „Schnell-Rendezvous“ bei einem Glas Wein oder Bier.

Im „Soma“ in der Foksal-Straße in der City Warschaus treffen sie sich sonntagabends: 30 Frauen und 30 Männer für je drei Minuten und für nur 30 Zloty (ca. 7,50 Euro). An einem strategisch günstigen Platz lehnen zwei Dreißigjährige an der Wand, nippen am Wein und taxieren die Männer, die zur Tür hereinkommen. „Aah, das ist ein Hengst!“, platzt die Rothaarige heraus und hält sich die Hand vor den Mund. Aber der braun gebrannte Sunnyboy hat es wohl doch gehört, wirft den Frauen einen herausfordernden Blick zu und knöpft das Hemd noch einen Knopf weiter auf.

Der Nächste kommt rein: „Zu dick“, kommentiert die Rothaarige sofort wieder. „Jetzt wart’s doch mal ab“, wirft die Blonde ein, „vielleicht ist er ja nicht blöd.“ Sie setzt sich an Tisch Nummer 12. Auch die anderen Frauen setzen sich. Alle haben einen Zettel und einen Bleistift vor sich liegen. Der Conférencier erklärt noch einmal kurz die Spielregeln, sagt „Start“, die Männer stürzen etwas unkoordiniert auf die Tische zu.

Joanna, die Rothaarige, hat zuerst mit einem rund zehn Jahre jüngeren Studenten zu tun. Ihm ist gerade die Freundin weggelaufen. „Wie lange hat denn deine längste Beziehung gedauert?“, will er wissen. Joanna gibt gute Ratschläge und wartet schon auf den nächsten Mann. Nach drei Minuten ruft der Conférencier: „Mein Herren, bitte umsetzen!“ 26 Männer rücken einen Tisch weiter. Zu Joanna setzt sich wieder ein Student. Recht attraktiv, wie sie findet, aber als er erzählt, dass der Wind ihn hergetragen habe und im Leben alles flüchtig sei, hakt sie ihn ab.

Die mit beiden Beinen im Leben stehende Reisekauffrau sucht den Blick von Zofia, der Blonden von vorhin. Die quält sich gerade mit einem dürren Zweimetermann ab, der nach jedem Satz in langes Grübeln verfällt. Wieder sind drei Minuten um. An Joannas Tisch setzt sich Jacek, ein schüchterner Informatiker, dann Marcin, ein Sportjournalist, Daniel, ein lustiger Holländer, der in Warschau eine Sprachschule betreibt, Adam, ein smarter Historiker, Piotr, ein arbeitsloser Brückenbauer, Alessandro, ein Italiener und tief in die Augen schauender Finanzberater, Pawel, noch ein Student …

Als die gut anderthalb Stunden vorüber sind, dreht sich Joanna zwar leicht der Kopf, aber sie will einen von den 26 wiedersehen: Alessandro, den „Hengst“. Sie macht ein Kreuzchen bei Nummer 21 und gibt ihren Zettel bei Alicja ab. Wenn alles gut geht und Alessandro die 15 angekreuzt hat, wird es ein echtes Rendezvous geben. Am nächsten Abend, wieder im „Soma“. GABRIELE LESSER