Im wüsten Schilderwald

Häuserkampf in Kairo: Barbarische Behörden gegen visuelle Verschmutzer

KAIRO taz ■ In ihrem unermüdlichen Drang nach urbaner Verschönerung hat die Verwaltung der Megamillionenstadt Kairo jetzt einen schönen Schildbürgerstreich ausgeheckt. Denn um Schilder geht es in der neuesten städtischen Kampagne mit dem Ziel, „der ägyptischen Hauptstadt einen zivilisierten Look zu verpassen“, wie es ein Offizieller aus dem Bürgermeisteramt beschreibt. Zu bekämpfen gilt es die Unart ägyptischer Arztpraxen, Anwaltskanzleien und anderer Büros, ihre Dienstleistungen auf allen Stockwerken durch an Balkons und Fenster angebrachte überdimensionale Schilder aus Messing, Plastik oder Holz anzupreisen. Zu tausenden prangen diese meist von einer zarten Schicht Wüstenstaub überzogenen Tafeln an den Häuserzeilen. Manche jugendstilhafte Gebäudefassade ist durch den wahren Schilderwald sichtlich entstellt.

Nun besteht ein entsprechendes Schilderverbotsdekret bereits seit vier Jahren. Wie im Rest der Welt sollten danach Kairoer Büros fortan nur noch an der Eingangspforte auf ihre Existenz hinweisen. Doch wurde dem Ganzen zunächst durch allgemeine Nichtbeachtung das übliche ägyptische Verordnungsschicksal zuteil. Bis, ja bis Kairos Stadtväter in einer vor kurzem abgehaltenen Sitzung beschlossen haben, dem Ganzen etwas mehr Nachdruck zu verleihen. Schließlich, so General Said Mikhail, Chef des Kairoer Norddistriktes, müsse dieser „visuellen Verschmutzung“ endlich ein administratives Ende bereitet werden. Wer jetzt nicht auf die per Post verschickten Mahnungen reagiert, die Schilder abzubauen, dessen Tafeln werden inzwischen in manchen Vierteln von Beamten der Stadtverwaltung zwangsabgeschraubt.

Fügten sich nach Angaben der Verwaltung 80 Prozent aller derartig angegangenen Bürobesitzer ihrem Schicksal, schrie der Rest auf, angesichts dieses, wie es der Chef des Ärzteverbandes beschrieb, „barbarischen Vorgehens“. Offen wurde gerade in Kreisen der medizinischen Zunft gemeutert, ob die Stadtverwaltung nicht dringlicheren Aufgaben nachkommen sollte, etwa die allerorten in der Stadt sicht- und riechbaren Abfallhaufen zu beseitigen.

Der kleine Schildermacher Samir im Zentrum der Stadt versteht die ganze Aufregung nicht. Seit über 35 Jahren produziert er die besagten Fenster- und Balkonschilder aus Messing für umgerechnet rund 175 Euro das Stück. Am Ende, glaubt er, werde das Dekret kaum Auswirkungen haben. Geht es nach ihm, dann ist die weitere Schilderproduktion genauso wenig in Frage gestellt wie das stetige Fließen des Nils. Erst in der vergangenen Woche hat er, Verordnungen hin oder her, 18 neue Tafeln angebracht. Schließlich könnten die städtischen Beamten auch gegen ein geringes Entgelt dazu gebracht werden, ein Auge zuzudrücken. Ein Leben ohne Schilder kann er sich gar nicht vorstellen. Wie sonst sollte man mit einem geschulten Blick auf die Häuserfassade feststellen, in welchem Stock der Zahnarzt bohrt oder die Anwältin Recht verdreht.

Apropos Recht: Inzwischen muss sich auch das Verwaltungsgericht mit der ersten Klage Ahmad Qudas auseinander setzen. Der prominente Anwalt argumentiert, dass die ägyptische Verfassung schließlich Privateigentum schütze und dass die neue Verordnung ganze Berufsstände schädige. Wehret den Anfängen, sagt der empörte Anwalt, sonst „wird die Kairoer Stadtverwaltung den Leuten auch noch verbieten, auf ihren Balkons zu sitzen und sich zu unterhalten“.

KARIM EL-GAWHARY