In Beton gegossene Erinnerung

Im Zweiten Weltkrieg mussten russische Zwangsarbeiter den Bunker in der Schöneberger Pallasstraße bauen. Erst lange nach dem Krieg wurde er auf Betreiben der Alliierten fertig gestellt. Seit gestern dient er nun als Mahnmal

Bodo Förster steht vor einer dreieinhalb Meter dicken Mauer aus Stahlbeton und tut so, als wäre sie nicht da. „Wir gucken hier Richtung Kleistpark. Aus der Richtung kam die Rote Armee.“ Feine Risse ziehen sich durch den Beton, grüner Schimmel wächst in den Ritzen. Es ist feucht und kühl. „Die Wand ist neu“, sagt der Geschichtslehrer, „zu Kriegsende war da noch ein großes Loch.“ Förster dreht sich um und blickt suchend in den 50 Meter langen und 10 Meter breiten Raum. „Dort stand Walentina“, sagt er und läuft ein paar Meter an der Wand entlang. „Und von da hinten“, er zeigt auf einen der beiden Ausgänge, „kam der erste Rotarmist und hat sie angesprochen. Dreckig und müde muss er ausgesehen haben. Draußen tobte noch das Inferno der letzten Kriegstage.“ Nach Jahren der Gefangenschaft war die zwölfjährige Walentina Besgina endlich frei. Gemeinsam mit ihrer Mutter und den beiden kleinen Schwestern kehrte sie zurück in die Ukraine. „Als sie dann vor ein paar Jahren das erste Mal wieder hier war, musste sie an dieser Stelle weinen.“

Seit 1943 lebten hunderte russische Kriegsgefangene in einem ehemaligen Mädchengymnasium neben dem halb fertigen Bunker an der Pallasstraße. Ganze Familien waren von den Nazis nach Berlin verschleppt worden. Sie sollten für das in der Schöneberger Winterfeldtstraße gelegene Fernmeldeamt der Reichspost eine bombensichere Unterkunft bauen. Ironie des Schicksals: Der Bunker wurde nie bezogen. Auf Bildern aus Försters Archiv erkennt man noch die riesigen Baulöcher, im Hintergrund die zerbombte Stadt. Nach drei Jahren Arbeit fehlten 1945 noch ganze Stockwerksdecken.

Dass Förster die ehemaligen Zwangsarbeiter Jahrzehnte später durch einen funktionstüchtigen Luftschutzbunker führt, ist eine der vielen zynischen Folgen des Kalten Krieges. 1986 forderte der Alliierte Kommandorat die Westberliner auf, den Bunker zu reaktivieren. „Aus dieser Zeit stammen auch die vier Metallschleusen, die sanitären Anlagen und der Stromgenerator“, erklärt Förster. „Aber fragen sie mich nicht, warum die kurz vor der Wende noch einen Bunker brauchten. Ich bin hier nicht der Hauswart“.

Förster interessieren die Menschen, die in und um den Bunker lebten und arbeiteten. Als Historiker und Lehrer der angrenzenden Sophie-Scholl-Oberschule, auf deren Grund der Betonquader steht, fühlt er sich mitverantwortlich für dieses Stück deutscher Vergangenheit. Seit neun Jahren organisiert er Besuche ehemaliger ZwangsarbeiterInnen, kramt in den Archiven der Stadt nach Bildern und Dokumenten. Lange bevor sich die deutsche Industrie zu Entschädigungszahlungen prügeln ließ, sammelte Förster mit Schülern und Anwohnern Geld für die Familien der ehemaligen BunkerarbeiterInnen.

Auslöser war ein Brief aus der Ukraine. Ihre Erinnerungen ließen der damals 64-jährigen Maria Derewjanko keine Ruhe: „Ich will diesen Ort, wo ich in den schweren Kriegsjahren gewesen war, wo meine Landsleute gefallen sind und wo ich viel Leiden erlitten habe, ansehen.“

„Dass sie kam, war ein Riesenglück“, sagt Förster. Erst durch Derewjankos Erzählungen wurde es möglich, vergangenes Unrecht aufzuarbeiten. Andere ZwangsarbeiterInnen folgten. Alle beladen mit quälenden Erinnerungen. Förster ist sich nach vielen Gesprächen mittlerweile sicher, dass auf der Baustelle auch Arbeiter zu Tode kamen. „Das waren fast alles Bauern und Landarbeiter ohne Erfahrungen im Hochbau. Und zu Essen gab es nur Rübensuppe und etwas Brot.“ Selbst nach Jahrzehnten würden die Besucher noch ihre Fassung verlieren, wenn sie vom Hunger und den Bombenangriffen erzählen sollten.

Immer wieder sprachen die russischen Zeitzeugen auch mit Schülern aus Försters Sophie-Scholl-Oberschule. Treffen, die Eindruck hinterließen: Im Februar 2000 begann eine Schülergruppe in eigener Initiative das nun eingeweihte Mahnmal zu planen. Bodo Förster freut das besonders: „Die Geschichte ist von den Älteren erzählt worden. Wichtig ist jetzt, auch die jüngeren Generationen einzubinden.“ Das Mahnmal, sagt Förster, soll nicht nur erinnern, es soll auch zu einer Basis für zukünftige freundschaftliche Beziehungen zwischen Ukrainern und Berlinern werden. Schlechte Erfahrungen gibt es genug.

THILO KUNZEMANN