Eurythmisches Sparen

Wegen Schulgebühren und exotischen Fächern wie Eurythmie gelten die Waldorfschulen als weltfremde Eliteinstitute. Die Sparpläne des Senats könnten diese Vorurteile wahr werden lassen

von THILO KUNZEMANN

Fragt man einen Waldorflehrer nach dem Unwort des Jahres, dürfte die Antwort „Privatschule“ lauten. Denn alles, was die sieben Waldorfschulen in Berlin nicht wollen, steckt in diesem Wort. Hohe Schulgebühren, Elitenbildung und selektive Schülerwahl. „Öffentliche Schulen in freier Trägerschaft, so muss es heißen“, verbessert Alexander von Dresky, der Geschäftsführer der Waldorfschule im Märkischen Viertel nahe der Endstation der U 8 in Wittenau.

Wenn der Senat aber – wie angekündigt – die Lohnzuschüsse für Waldorflehrer kürzt, dann könnten tatsächlich „elitäre Privatschulen“ entstehen. „Den Lehrern können wir weitere Gehaltseinbußen nicht zumuten“, sagt von Dresky. „Viele wandern schon jetzt zu staatlichen Schulen ab, weil die besser zahlen.“

Also müssten die Elternbeiträge steigen. Von durchschnittlich 110 Euro im Monat auf rund 135 Euro plus 10 Euro Putzgeld, denn das soll ebenfalls gestrichen werden. Für finanzschwache Eltern könnte das zu viel sein, befürchtet von Dresky. Sie müssten ihre Kinder auf staatliche Schulen schicken. Übrig bliebe eine Bildungselite.

Noch ist es anders. Waldorfeltern sind zwar überdurchschnittlich gebildet, liegen aber – einer Studie der Freien Universität (FU) zufolge – in Westberlin nicht über dem Durchschnittseinkommen. „Im Osten der Stadt müssen Waldorfeltern sogar mit 15 bis 25 Prozent weniger Geld auskommen als der Durchschnittsbürger“, zitiert von Dresky die FU-Studie.

Ein Blick aus seinem Büro scheint die These zu bestätigen. Mitten in der Retortensiedlung Märkisches Viertel ist von heimeliger Privatschulatmosphäre nicht viel zu sehen. Auch das flache Schulgebäude besteht aus grauen Betonplatten. Entgegen den Waldorfprinzipien feierten die Architekten hier ein Fest der rechten Winkel. „Mit dem Haus sind wir gar nicht glücklich.“

Nur der Neubau mit seinem hohen Mittelgang, der gewellten Dachverkleidung und den zerwürfelten Fensterfronten entspricht dem Anspruch der Waldorfpädagogen. „Aber“, sagt von Dresky, „wir können schon zufrieden sein, überhaupt eine Unterkunft gefunden zu haben.“

Quasi heimatlos arbeiteten Lehrer und Schüler von der Schulgründung im Jahr 1981 bis 1987 in der Mutterschule in Dahlem. Berlins erste Waldorfschule war zu klein geworden. Eltern und Lehrer suchten nach neuen Räumen im Norden Berlins.

Schwerer als gedacht sei die Suche gewesen, erinnert sich von Dreskys Sekretärin Heide Müller. Als man im Märkischen Viertel fündig wurde, habe man trotz der Abgelegenheit und der Plattensiedlung zugeschlagen. Und schon jetzt herrscht in der „schwarzen Schule“ im Märkischen Viertel Platzmangel. Auf einen freien Schulplatz kommen derzeit zwei Bewerber.

Den Namen verdankt die ehemalige Sonderschule der Anthrazitbemalung ihrer Fassade. Die Farbe ist längst abgekratzt. Eltern und Schüler begrünten den Hof, bauten einen Spielplatz für die ersten Klassen und kleideten die Räume mit Holz aus.

„Alles in Eigenleistung“, erkärt von Dresky. Als eine Art Direktor für Wirtschaftsfragen hat er in Sachen Geld das letzte Wort. Und wenn er auch von den Prinzipien des Anthroposophen und Waldorfbegründers Rudolf Steiner überzeugt ist, so schmerzen ihn und seine Kasse doch die von Steiner geforderten natürlichen Baumaterialien, entschärften Winkel und runden Formen. Auch aus diesem Grund liegen Baupläne für neue Unterrichtsräume auf Eis. „Kein Geld.“

Um die Situation nicht zu verschärfen, rüsten sich die 400 Schüler und ihre rund 40 Lehrer jetzt zum Protest gegen die Sparpläne. Am Samstag, den 16. März, wollen sie um 11.30 Uhr von der Uhlandstraße und dem Nollendorfplatz zum Wittenbergplatz laufen, um dort – von Dresky: „kreativ, wie für eine Waldorfschule üblich “ – zu protestieren. Am Freitag trafen sich die Schüler zum Ideensammeln im Eurythmiesaal. Normalerweise bewegen sich hier junge Menschen und vollführen einen für Außenstehende kuriosen Ausdruckstanz. Jetzt aber wird debattiert. Den unverständlichen Ausdruckstanz übernimmt derweil Schulsenator Böger. Nachdem er die Waldorfschulen für kurze Zeit von der Sparliste nahm, will er ihnen jetzt doch an die Pfründe.