Spielplatz als tödliche Falle

Ein dreijähriger Junge strangulierte sich auf der Rutsche einer Kindertagesstätte in Zehlendorf. Am vergangenen Donnerstag verletzte sich ein Kind schwer auf einem Spielplatz in Schöneberg. TÜV-Experten kritisieren schon lange Spielplatzsicherheit

Die Todesursache? Sowohl Kordeln als auch Spielgeräte sind das Problem

von THILO KUNZEMANN

Tragischer kann es kaum kommen. Ein dreijähriger Junge stranguliert sich auf der Spielplatzrutsche der Kindertagesstätte Wasgensteig des Arbeiter-Samariter-Bundes in Zehlendorf mit der Kordel seiner Anorakkapuze. Zu spät merkt die 37-jährige Erzieherin beim Abmarsch, dass noch drei Kinder fehlen. Sie rennt zurück und befreit den Jungen, der auf halber Höhe in der Rutsche hängt.

Laut Polizeiangaben blieb das Kind zwar nur wenige Minuten ohne Luft. Doch die Wiederbelebungsversuche der Feuerwehr zeigten keine Wirkung.

Der Arbeiter-Samariter-Bund verweigerte gestern jede Stellungnahme zu dem tragischen Unglück. Jetzt arbeite die Kriminalpolizei an dem Fall. Es handle sich um ein Todesermittlungsverfahren, sagte Polizeisprecher Gunkel. Dem Personal sei aber nach bisherigem Ermittlungsstand kein Vorwurf zu machen. Auch die Rutsche entspräche den Vorschriften. „Nicht das Gerät, sondern die Kordel war das Problem.“ Technische Sachverständige, räumt Gunkel ein, seien bisher aber noch nicht vor Ort gewesen.

TÜV-Prüfer Wolfgang Rüttinger ist so ein Sachverständiger. 2.000 Spielplätze überprüft er pro Jahr. Seit Jahren warnt er auch öffentlich vor versteckten Spielplatzgefahren. Der Tod des Kindes, glaubt er, wäre vermeidbar gewesen. „Ich erinnere mich an vier bis fünf ähnliche Fälle in Berlin und die beruhten alle auf Mängeln.“ Natürlich gebe es Unfälle, die nicht zu verhindern seien, sagt Rüttinger. In Zehlendorf sei das aber unwahrscheinlich.

„Gefährlich sind so genannte Fangstellen, also V-förmige Einschnitte, in denen sich Kordeln oder Ähnliches verklemmen können.“ Stumpfe Winkel seien hier laut der DIN-Norm 7611 zwingend vorgeschrieben, doch immer wieder fänden sich bei Prüfungen solche gefährlichen Fangstellen.

Genau solch einen Winkel will auch Stefan Z., der selbst vier Kinder hat, an der Unfallrutsche in Zehlendorf entdeckt haben. „Das ist totaler Scheiß, was die da gemacht haben.“ Die S-förmige Rutsche stamme aus den 80er- Jahren und sei ungefähr zwei Meter hoch, sagt Z. Um die Plattform, von der die Kinder starten, seien selbstgebastelte Sperrholzplatten befestigt worden – damit die Kinder nicht rausfallen. „Und genau dadurch ist jetzt ein spitzer Winkel entstanden“, sagt der Vater.

Das eigentliche Problem sieht aber auch Z. bei den Kordeln. Diese seien auch für den Unfall eines fünfjährigen Jungen im Schöneberger Lassenpark verantwortlich gewesen. Nicht in der Rutsche, wie es in den Medien hieß, habe sich der Junge das Schlüsselbein gebrochen – „Die ist wirklich perfekt“ – sondern, nachdem sich seine Kordel um ein Halteseil geschlungen habe. „Kordel ab“, fordert der 37-jährige Z. deshalb. Und die Vergangenheit scheint ihm Recht zugeben.

Im vergangenen Jahr starb beispielsweise der zweieinhalbjährige Justin S. in einer Kindertagesstätte in Reinickendorf – auch er strangulierte sich an der Kordel seines Anoraks. Die Unfallrutsche wurde danach abgebaut. Ein Sprecher des Landesamtes für Gesundheit forderte daraufhin Kinderkleidung ohne Kordeln.

Mittlerweile, sagt Polizeisprecher Gunkel, gäbe es eine Selbstverpflichtung der Textilhersteller auf die gefährlichen Kapuzenschnüre zu verzichten. Doch die Eltern sollten sich die Verantwortung nicht aus der Hand nehmen lassen. „Mein Rat an die Eltern: Ziehen sie ihren Kindern eng anliegende Sachen an.“ Im schlimmsten Fall könnten sich Kleinkinder auch mit einer Kapuze ohne Kordel strangulieren.

Auch TÜV-Experte Rüttinger rät Eltern zu mehr Aufmerksamkeit. Viele Mängel an Spielplatzgeräten ließen sich bei näherer Untersuchung durch den Laien erkennen. „Ganz wichtig: Es dürfen keien Fangstellen mit V-Einschnitten vorhanden sein. Und auch den Abstand bei Hängebrücken auf Abenteuerspielplätzen sollte man kontrollieren.“ So sei im Herbst 1998 ein Vierjähriger im Wedding gestorben, weil der durch die Lücke zwischen zwei Holzleisten einer Schwebebrücke gefallen sei, sein Kopf aber klemmen blieb.

Rüttinger schätzt, dass zwei Drittel der rund 20.000 Sandkästen und Spielplätze der Stadt größere und kleinere Mängel aufweisen. Ein Drittel gar erhebliche Mängel. Die 1.800 öffentlichen Plätze seien dabei aber vergleichsweise unproblematisch. „In schlechtem Zustand sind meist die privaten Spielplätze, die nicht von den großen Wohnungsbaugesellschaften betreut werden.“

Doch die Finanznot der Stadtbezirke bekommen jetzt auch öffentliche Plätze zu spüren. Anke Otto, Stadträtin für Jugend, Gesundheit und Umwelt, geht zwar davon aus, „dass die Geräte, die noch stehen in Ordnung sind“. Doch können für abgebaute kaputte Geräte keine neuen mehr installiert werden. „Aus Geldmangel.“