Verlassen, geholfen, ausgesetzt

■ „Wooden Shoes“: Eine jüdische Kindheit im besetzten Polen

Ein sechsjähriges Mädchen stolpert in hölzernen Schuhen durch die verschneiten Karpaten. Dann wird sie in Handschellen der Gestapo übergeben, geprügelt, kann sich wieder verstecken. Die Sechsjährige sieht die Erschießungen im Ghetto und fragt später ihre Mutter: „Mama, was hast du mir angetan.“

Malka Alonis Kindheitserinnerungen – welch schlichtes Wort – sind aus dem Hebräischen übersetzt und heute und morgen bei Radio Bremen zu hören.

Als die Deutschen Polen besetzen, ist Malka viereinhalb Jahre alt. Ihre Mutter, Ärztin, behandelt auch die deutsche Grenzpolizei. Die Offiziere raten der Familie – bestehend aus Malka, ihrer Mutter und der Schwester – zur Flucht in Richtung Ungarn, die mittlerweile Sechsjährige bekommt dafür sogar Holzschuhe geschenkt.

Die Erzählung ist nüchtern, fast spröde. „Wir wollten mit unserer Bearbeitung ein Gefäß schaffen“, sagt Regisseur Gottfried v. Einem. „Wie es emotional gefüllt wird, ist Sache der Rezipienten.“ Rosemarie Fendels Stimme klingt diszipliniert, drückt kein Leiden aus. Von Einem: „Jede persönliche Nähe hätte gegen den Text gewirkt.“

Als Stilmittel wirken ein jiddisches Lied – und stete Pausen. Selten legt v. Einem die deutsche und die hebräische Stimme (Esther Béjarano) übereinander, immer sind dadurch besonders schlimme Situationen markiert: Die Besetzung oder der Ausschluss aus der Flüchtlingsgruppe, weil Malka nicht mehr laufen kann – die Holzschuhe haben ihr eitrige Wunden in die Füße geschnitten.

Das Kind überlebt. Immer wieder – in Eisenbahnzügen, versteckt in Abfall, im Ghetto-Hospital. Dort drohen die regelmäßigen „Säuberungen“. „Jedes Mal, wenn ich nach einer Aktion ins Krankenhaus zurück komme, stapeln sich in der Leichenhalle die Toten und die Krankenzimmer sind leer.“ Das Thema dieses Kinderlebens ist das Verlassenwerden. Malka findet vorübergehende Hilfen, wird ausgesetzt, flieht in neue Verstecke. Dann das Wiedertreffen der Mutter, schließlich gelingt die Flucht nach Israel. Ein „Happy End“?

„Bis ich heiratete, wohnte ich bei meiner Mutter und wir erwähnten die Zeit des Holocaust mit keinem einzigen Wort. Wir wollten damit nichts mehr zu tun haben.“ Die Überlebende – oder ihre Familie – wollte auch mit einer deutschen Bearbeitung ihrer Lebensgeschichte nichts zu tun haben. Radio Bremen konnte nur formal die Rechte erwerben. Henning Bleyl

Hörspiel und Konzert heute um 20 Uhr live im Sendesaal von Radio Bremen Die Ursendung gibt es morgen um 22.05 Uhr im Nordwestradio (UKW 88.3)