Sozialisten ohne EU-Kompetenz

Postengeschacher im Europaparlament: Unter den sozialdemokratischen Vertretern im neuen Reformkonvent sind mit Ausnahme von Klaus Hänsch keine Verfassungsexperten. Bundesregierung schickt Medienfachmann Peter Glotz nach Brüssel

von DANIELA WEINGÄRTNER

Das Europaparlament hat gestern die sechzehn Abgeordneten benannt, die in einem Reformkonvent gemeinsam mit Regierungsvertretern und nationalen Parlamentariern über eine EU-Verfassung debattieren sollen. Dabei zeigten die Sozialdemokraten, was sie unter sachorientierter Politik verstehen. Jo Leinen, der sich im Konvent zur Grundrechtecharta einen Namen gemacht und den Reformprozess von Nizza kritisch begleitet hat, wurde nicht aufgestellt. Zum Trost machte man ihn zum Vizepräsidenten des Verfassungsausschusses.

Der Postenschacher kam in Gang, weil alle Ausschussvorsitzenden und das Parlamentspräsidium nach der halben Legislaturperiode neu gewählt werden. Daher musste zum Beispiel der portugiesische Sozialist Luis Marinho, der als Parlamentsvize nicht gewählt wurde, mit einem Sitz im Konvent getröstet werden. Er hat immerhin das große silberne Ehrenzeichen mit dem Stern für Verdienste um die Republik Österreich vorzuweisen.

Während aus dem konservativen Lager fast ausschließlich EU-Parlamentarier in den Reformkonvent entsandt werden, die mit der Thematik vertraut sind, vergaben die Sozialdemokraten drei der ihnen zustehenden fünf Plätze an Neulinge. Lediglich der deutsche Sozialdemokrat Klaus Hänsch engagiert sich seit langem für den Integrations- und Reformprozess in der EU. Der Franzose Olivier Duhamel ist immerhin Rechtsprofessor. Die Labour-Aabgeordnete Linda McAvan aber hat in ihrem Lebenslauf folgende aufregende Stationen zu bieten: Europabeauftragte der Kampagne für Anwohner von Kohlerevieren (1991–1995). Hauptreferentin für strategische Fragen im Stadtbezirksrat Barnsley (1995–1998). Die Belgierin Anne van Lancker hat sich bislang im Ausschuss für Chancengleichheit engagiert.

Dabei hätte die Fraktion, was verfassungsrechtliche Expertise und rechtspolitisches Engagement angeht, aus dem Vollen schöpfen können. Doch die italienische Staatsanwältin und Berlusconi-Gegnerin Elena Paciotti musste sich mit dem griechischen Verfassungsexperten Dimitrios Tsatsos um den letzten Stellvertreterplatz streiten. Tsatsos reiste daraufhin wütend aus Straßburg ab.

In den letzten Tagen war auch zwischen den nationalen Regierungen Streit über die Frage aufgeflammt, wie viele Plätze jedem Land zustehen. Deutschland und Großbritannien beriefen sich auf eine mündliche Absprache am Rand des Laeken-Gipfels, nach der Italien und Belgien niemanden benennen dürften, da die beiden Länder durch die stellvertretenden Vorsitzenden Giuliano Amato und Jean-Luc Dehaene vertreten seien.

Tatsächlich steht aber in allen Übersetzungen der „Laekener Erklärung“ – mit Ausnahme der niederländischen – „zusätzlich zum Vorsitzenden und seinen beiden Stellvertretern“ sollten fünfzehn Regierungsvertreter in dem Gremium sitzen. Zudem hat der Sozialist Amato bereits angekündigt, er werde sein Amt im Konvent nicht antreten, wenn er verpflichtet sei, für die Regierung Berlusconi zu sprechen.

Die deutsche Bundesregierung hat inzwischen den Medienwissenschaftler Peter Glotz als nationalen Regierungsvertreter benannt. Auch Glotz ist in den letzten Jahren nicht als engagierter Europäer aufgefallen, den die Reform der EU-Verträge umtreibt. Aber es wäre wohl naiv, von der deutschen Bundesregierung zu erwarten, dass sie einen Experten wie Roman Herzog mit dem falschen Parteibuch in den Konvent schickt.