„Wir leben in einer Wohngemeinschaft“

Ursula Müller, Zivilgesellschaftsbeauftragte an der deutschen Botschaft in Kabul, über ihre Arbeit und die Rolle der Frauen in Afghanistan

taz: Sie haben sich schon im Kosovo-Konflikt um traumatisierte weibliche Kriegsopfer gekümmert, jetzt sind Sie als Beauftragte des Auswärtigen Amtes für Kontakte mit der Zivilgesellschaft in Kabul. Worin besteht Ihre Aufgabe?

Ursula Müller: Schwerpunkt ist die Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen, um an der Basis für eine bessere Zukunft der Menschen etwas zu bewegen: humanitäre Hilfe zu leisten, Schulen zu renovieren, damit insbesondere Mädchen wieder zur Schule gehen können, Projekte im Gesundheitsbereich.

Diese Aufbauarbeit wird mit lokalen Organisationen in Partnerschaft geleistet. Es gibt Chancen für den Aufbau einer Zivilgesellschaft. Gerade in Afghanistan müssen Frauen am Friedensprozess und am Wiederaufbau beteiligt werden.

Unter welchen Bedingungen arbeiten Sie?

Wir in der deutschen Botschaft leben in einer Wohngemeinschaft. Meist haben wir Strom, manchmal warmes Wasser. Wir arbeiten in einem Gebäude, dessen zweiter Stock von einer Rakete zerstört wurde und noch ausgebrannt ist.

Wird die afghanische Zivilgesellschaft nach 23 Jahren Krieg vor allem von Frauen getragen? Welche Bedürfnisse äußern sie?

Die Zivilgesellschaft wird von Frauen und Männern getragen. Überall ist Aktivität zu sehen: Auf dem Basar gibt es wieder Schuhe, Seife, Stoffe, Plastikeimer; Blech wird gehämmert für Heizöfen; Schreiner fertigen Fensterrahmen. Vor der Deutschen Botschaft stehen Menschen, die Unterstützung für ein Projekt oder Arbeit suchen. Wir haben bereits drei Frauen für Übersetzertätigkeiten und als Verwaltungshilfe eingestellt. Die Frauen wollen erwerbstätig sein. Sie durften fünf Jahre lang nicht außer Haus erwerbstätig sein, Mädchen konnten fünf Jahre lang nicht zur Schule gehen oder eine Ausbildung machen.

Was können Sie tun, um die Frauen zu stärken? Was kann die deutsche Zivilgesellschaft tun, um die afghanische Zivilgesellschaft zu stärken?

Die Hoffnung der afghanischen Frauen ist Bildung, Ausbildung, Arbeit. Projekte in diesen Bereichen sind deshalb für mich vorrangig. Mit Mitteln des Auswärtigen Amts wird ein Winterschulprogramm in 15 Schulen in Kabul für drei Monate für 10.560 Mädchen durchgeführt. Wir haben begonnen, die Schulen so zu renovieren, dass die Fenster – die Scheiben sind alle zerstört – mit Plastikfolie abgedichtet werden, Teppichboden ausgelegt wird, auf dem die Kinder sitzen können (Schulbänke gibt es nicht) und Heizöfen aufgestellt werden.

Es ist vorgesehen, dass mit deutscher Hilfe auch Lehrmaterial, vor allem Schulhefte, beschafft werden und die Gehälter für die Lehrerinnen für drei Monate bezahlt werden. Wir arbeiten mit dem afghanischen Erziehungsministerium zusammen, das die Lehrerinnen über Rundfunk aufrief sich zu melden.

Bildung ist die Zukunft für die junge Generation. Darin liegt auch die Chance für die Entwicklung einer Zivilgesellschaft. Die Botschaft plant, ein berufsbildendes Zentrum für Frauen zu unterstützen: Ihre Qualifizierung ist Voraussetzung, damit sie ihren Lebensunterhalt verdienen können. Für dieses Zentrum haben wir Nähmaschinen vor Ort gekauft. Außerdem ist geplant, dort einen Computerkurs anzubieten, zu dem sich schon 85 Frauen angemeldet haben. Bisher gibt es nur zwei Computer und noch keine Möbel. Nächste Woche liefert eine Schreinerei in Kabul die Stühle.

Kümmern Sie sich auch um Straßenkinder?

Gleich nach Ankunft in Kabul habe ich ein Straßenkinderprojekt besucht, in dem über 1.500 Jungen und Mädchen eine schulische Tagesstätte haben. Ich habe im Auftrag der Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Heidemarie Wieczoreck-Zeul, die Mitte Dezember in Kabul diese Kinder gesehen hat und über deren Situation bestürzt war, auf dem Basar für sie Pullover, Schuhe, Kochherde, Essgeschirr und Heizöfen gekauft und am 24. Dezember verteilt.

Haben Sie bereits die Frauenministerin und Vizeregierungschefin Sima Samar besucht? Kann sie sich, die nach hiesigen Maßstäben eine pragmatische Feministin ist, gegen die Männer und die Fundamentalisten in der Nordallianz durchsetzen?

Am 1. Janaur habe ich Sima Samar zu Hause aufgesucht. Sie hat noch kein Gebäude für ihr Ministerium, kein eigenes Büro, keine Mitarbeiterinnen, kein Geld – sie wird zunächst ihr Frauenministerium aufbauen. In unserem Gespräch nannte Samar als Schwerpunkte für ihre Arbeit die schulische Wiedereingliederung der Mädchen, die berufliche Bildung von Frauen, zum Beispiel als Lehrerinnen, Krankenschwesten und für die Verwaltung. Außerdem bat sie um Unterstützung bei einkommensschaffenden Projekten für Frauen.

Die Bettler sind fast ausschließlich Frauen und Kinder. Ihr Zahl steigt. Rund 25 Prozent der afghanischen Frauen sind Witwen mit zum Teil bis zu zehn Kindern, die für das Familieneinkommen verantwortlich sind.

Samar bat auch um Unterstützung für traumatisierte Frauen. Hier konnte ich die konkrete Hilfe durch Medica Mondiale anbieten, die auch im Kosovo und in Bosnien hervorragende Projekte in diesem Bereich realisiert haben. INTERVIEW: UTE SCHEUB

Wegen schlechter Telefonverbindungen wurde das Interview per E-Mail geführt