Tanz um den goldenen Stier

Nach der ersten Eurowoche: Wir haben uns vergeblich über das neue Geld gefreut. Der Euro ist eine quasireligiöse Inszenierung, ist nur scheinbar – eben ein Schein in bar

Der Euro soll dafür sorgen, dass Blumenkohl überall gleich viel kostet und immer nach Fabrik schmeckt

Schon nach der ersten Eurowoche hat sich die neue Währung flächendeckend durchgesetzt – allerdings mit einigen regionalen Besonderheiten, wie in Europa üblich. Deutschland, das seit Bismarcks Zeiten die mangelnde Lebensfreude durch überbordendes Organisationstalent ersetzt hat, spielte mal wieder den Musterknaben. Wer jetzt noch mit DM zu bezahlen wagt, wird von seinen Mitkunden im Laden als Zeitdieb beschimpft. Italien dagegen ist wie üblich der Chaot vom Dienst – nicht funktionierende Geldautomaten, fehlendes Eurowechselgeld und eine Regierung, die ihren Außenminister feuert, weil er darauf aufmerksam gemacht hatte, dass es eine neue Währung geben soll.

Dabei hatten die Nachrichtenagenturen vermeldet, das neue Geld sei schon in der Neujahrsnacht in allen Euroländern „mit Euphorie“ begrüßt worden. Oh ja: Auf den italienischen Autobahnen gab es kilometerlange Staus, weil viele Autofahrer an den Mautstellen Lire in Euro umtauschen wollten. Im Pariser Nobelvorort Boulogne-Billancourt rief der Gründer der rund tausend Mitglieder starken „Allianz für die Souveränität Frankreichs“ dazu auf, jede Zahlung in Euro zu verweigern und stets das Wechselgeld in Franc zu verlangen. In Neapel herrschte Stunk in einer Bank, nachdem ein Rentner in einer Keksdose 67 Millionen Lire mitgebracht hatte und die Scheine gemächlich zählend in 34.600 Euro umtauschte.

Sicher, es gab sie, die Europhie. Zum Beispiel Hupkonzerte und „Vive l’Euro!“-Rufe in vielen französischen Städten oder nächtliche Schlangen vor den Geldautomaten. Echte Begeisterung oder künstliche erzeugte? Freude, nachdem die Medien Freude vermeldeten? Wie viele eigentlich müssen jubeln, damit eine Agentur von Euphorie berichtet? Was ist hier Schein, was Wirklichkeit? Wie soll man das just beim Geld unterscheiden? Und wie in einer Mediokratie? In einer verdoppelten Mediokratie, schließlich ist auch das Geld ein Medium. Money makes media go round, media make money go round: Der Schein zählt längst mehr als die Wirklichkeit, die Bilder sind realer als die Realität. Wenn Brüsseler Kinder in der kalten Neujahrsnacht die von Brüssel eine Brücke nachbilden, die nur auf dem 500-Euro-Schein und nicht in der Wirklichkeit existiert, also ein Symbol nach dem Symbol auf dem Symbol, was verbleibt dann eigentlich noch im Realen? Wohl nur der anschließende Schnupfen.

Aber auch ich muss mich schuldig bekennen: Auch ich habe mich auf den Euro gefreut. Auch ich wurde von Weihnachtsgefühlen befallen, als ich die ersten glänzenden Scheinchen aus dem Automaten zog. Auch ich gab mich der Eurotik hin und befummelte bewundernd die funkelneuen Münzen unter dem Schein der Esstischlampe. Trotz EU-Skepsis und Brüssel-Phobie. Trotz langjährig geübter Kapitalismuskritik.

Vor allem war es der Reiz des Neuen. Die dümmlich-romantische Hoffnung auf einen Neuanfang, der den Keim des Besseren in sich tragen möge. Und auch die naive Sehnsucht nach einer europäischen Identität: Endlich die Grenzen auflösen zu können, die in früheren Zeiten die entsetzlichsten Kriege produziert haben. Endlich in einem ganzen Kontinent zu Hause sein zu dürfen. Endlich Teil eines großen Landes zu sein, das Platz für alle Sprachen, Kulturen und Eigenheiten hat.

EU-Kommissionschef Romano Prodi scheint genau verstanden zu haben, welche Träumer wir alle sind. „Der Euro“, warb er in der Neujahrsnacht in Wien, „ist euer Geld, mein Geld, unser Geld. Und ein kleines Stück Europa in unser aller Hände.“

Ein Stückchen Europa? Scheinbar – wie ein Schein in bar. Genau das ist der Betrug. Als ob man Europa portionsweise kaufen könnte. Der Euro, ein Schein und kein Sein, ist nun mal banaler Tauschwert und nichts weiter. Das Beste an Europa – seine Vielfalt, sein Geistesleben, seine gastronomischen Genüsse – bringt er tendenziell in Gefahr. Er vereinheitlicht, statt die Diversität zu kultivieren. Er fördert nicht Qualität, sondern Quantifizierbarkeit. Ausgerechnet die europaweit verteilten McDonald’s-Filialen dienen der EU-Kommission als Maßstab dafür, wie stark der Euro sich schon durchgesetzt hat. Die neue Einheitswährung wird schon dafür sorgen, dass der Blumenkohl und der Schimmelkäse überall gleich viel kosten und gleich stark nach Blumenkohlindustrie und Schimmelkäsefabrik schmecken.

Auch politisch ist der Euro ein Betrug. Die europäische Union: eine Ansammlung an Enttäuschung. Ein bürokratisches Gestell von gestapelten Instanzen, bürgerfeindlich und demokratieabweisend. Eine Einheit, deren Beteiligte nichts so sehr bekämpfen wie die Einheit, zerrissen durch nationalistische Eigenhuberei, ob in Österreich, Italien, Großbritannien, Dänemark oder Bayern.

Einheitlich funktioniert die EU nur nach außen. Seit 1. Januar 2002 gilt für Menschen aus Rumänien keine Visumspflicht mehr, dafür müssen sie am Tor zum Bollwerk Westeuropa als Eintrittskarte 100 € vorweisen. Der Euro als postmodernes Visum – sehr praktisch, das Beispiel wird garantiert Schule machen.

Warum dann die Begeisterung? Alles nur Euphorie vom Eurovieh?

Die Europhorie: Das war vor allem die dümmlich-romantische Hoffnung auf einen Neuanfang

Die Ikonografie, mit der die Einführung des Euro begleitet wurde, ob im Fernsehen oder auf dem letzten Spiegel-Titelbild, war geradezu religiös, und wir sind alle ein bisschen darauf reingefallen. Ein einziger Bilderreigen von funkelndem Glanz und strahlendem Gloria, von Licht, Gold, Sonne und Sternen, vom göttlich über Europa aufgehenden Eurozeichen. Tanz um das goldene Kalb, Tanz um den Stier Europa: In Madrid gab es in der Neujahrsnacht ein Lichterfest mit „Euroforia“. In Paris wurde die Pont Neuf in Europa-blaues Licht gehüllt. In Maastricht kredenzte man dem Publikum ein Eurofeuerwerk, in Brüssel ein Licht- und Musikspektakel. In Athen durfte der schon an der Berliner Siegessäule gescheiterte Lichtkünstler Gert Hoff 21.000 Neonröhren zum 27 Meter hohen Euromonument verbiegen. Ätsche, bätsche, riefen die Griechen, unserer ist der Größste! Ja, wirklich, der Stelzen-Euro in Frankfurt am Main, Mittelpunkt der Mitternachtshow vor der Europäischen Zentralbank, war 12 Meter kleiner.

Goldregen und Goldsegen waren Teil einer der größten PR-Feldzüge, die es je gab. Europaweit wurde in aufwendigen Anzeigenkampagnen für die neue Währung geworben, für den härtesten, den schönsten, den blondesten Euro. „Der Euro“, befand Luxemburgs Ministerpräsident Jean-Claude Juncker, „wird einmal als der Vater aller europäischen Dinge angesehen werden.“ Vater unser, der du bist im Portemonnaie, geheiligt werde dein Name.

Aber kaum ist Weihnachten und Silvester vorbei, kaum werden die Zauberlichter ausgeknipst, will’s einfach nicht mehr so richtig hinhauen mit Goldstaub und Vergötterung. Ernüchterung macht sich breit. Die Europäische Zentralbank als Paradies, Zinseintreiber Wim Duisenberg als Erzengel Gabriel? Ach, nee danke. UTE SCHEUB