Ein Terrorist ist, wer die „Staatsordnung destabilisiert“

Die skandinavischen Staaten befürchten, dass die gemeinsame EU-Definition für Terrorismus auch auf Globalisierungskritiker angewandt werden kann

BRÜSSEL taz ■ Neben dem europäischen Haftbefehl müssen sich die Justizminister mit einem zweiten vertrackten Tagesordnungspunkt herumschlagen, der zur Chefsache erklärt worden ist: mit der Rahmenvereinbarung zur Terrorismusbekämpfung, die eine einheitliche Definition des Straftatbestands Terrorismus und eine einheitliche Mindesthöchststrafe umfasst.

In mehreren Mitgliedsstaaten gibt es diesen Straftatbestand bislang gar nicht. Menschenrechtsorganisationen warnen außerdem davor, dass eine zu weit gefasste Definition Bürger kriminalisieren könnte, die lediglich von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch machen, zum Beispiel Gewerkschafter oder Globalisierungsgegner.

Als Arbeitsgrundlage liegt den Ministern heute ein Formulierungsvorschlag vor, nach dem Taten, die das Ziel haben, „die Bevölkerung schwerwiegend einzuschüchtern, staatliche und internationale Organisationen zu erpressen“ oder die „politische, verfassungsmäßige, ökonomische oder soziale Ordnung eines Staates oder einer internationalen Organisation zu destabilisieren oder zu zerstören“, als Terrorismus bezeichnet werden sollen.

Um die Bedenken der nordischen Länder zu beschwichtigen, die einen Angriff auf die Meinungsfreiheit fürchten, enthält die Vorlage den Zusatz, „dass Grundrechte wie Vereinigungs- und Meinungsfreiheit oder das Demonstrationsrecht weder verringert noch ausgehöhlt werden dürfen“. Es gilt als wahrscheinlich, dass alle fünfzehn Länder den Entwurf absegnen werden. Das Flüchtlingskommissariat der UNO und amnesty international haben vor den Folgen gewarnt. Gerade in den Kandidatenländern, deren demokratische Tradition noch nicht gefestigt sei, könnte eine derartige Definition missbraucht werden, um politische Gegner zum Schweigen zu bringen. Österreich und Deutschland hatten bis zuletzt Probleme mit dem harmonisierten Strafrahmen, den die Vereinbarung vorsieht. Nach deutschem Recht darf ein Verurteilter frühestens nach zwei Dritteln der verbüßten Zeit auf Bewährung entlassen werden, in anderen Ländern ist es üblich, die Hälfte der Strafe zur Bewährung auszusetzen. Ein einheitlicher Strafrahmen kann so in der Rechtspraxis zu erheblichen Unterschieden führen.

Auch gibt es im deutschen und österreichischen Recht den Begriff der „Mindesthöchststrafe“ nicht, die nun für den Leiter einer terroristischen Organisation 20 Jahre betragen soll. In Deutschland käme ein Täter frühestens nach zwölf Jahren frei. Das erscheint unverhältnismäßig, da sogar eine lebenslängliche Haftstrafe laut Urteil des Bundesverfassungsgerichts nach spätestens 15 Jahren überprüft werden muss. Als Alternative könnte eine Vereinfachung dadurch erreicht werden, dass jedes Land den Strafrahmen festlegt, der dann in der Praxis EU-weit zu einheitlicher Haftdauer führt.

Die belgische Präsidentschaft hat sich kurz vor Ablauf ihrer Amtszeit noch zu einer Fleißarbeit bereit erklärt, mit der überprüft werden soll, wie sich die unterschiedlichen Gewohnheiten bei der Strafbemessung in den tatsächlich verbüßten Haftzeiten auswirken. Bis Ostern sollen die Ergebnisse vorliegen.

Es drängt sich die Frage auf, warum nicht schon früher jemand die Idee zu einer solchen vergleichenden Statistik hatte, denn das Problem der unterschiedlichen Rechtspraxis innerhalb der EU stellt sich heute nicht zum ersten Mal. Eine Denkpause bis Ostern ist jedenfalls derzeit politisch nicht durchsetzbar. Und sie würde wohl auch keine neuen Erkenntnisse bringen, denn im belgischen Justizministerium, so hört man, fehlen die Fachleute, die die Angaben aus den nationalen Fragebögen auswerten und vergleichen könnten.

DANIELA WEINGÄRTNER