wie mit der zauberzunge geleckt
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von GERALD FRICKE

Seit anderthalb Jahren murkel ich nun schon in Hamburg herum, seit einem Jahr mit Putzfrau. Eine Putzkraft, das mal vorab, ist unerlässlich für einen berufstätigen Menschen, der seinen Haushalt nach dem Motto „Man muss auch gönn’ könn’“ führt und wegen ein paar Bartstoppeln im Waschbecken nicht gleich „kaputtgeht“. Es fing alles ganz herrlich an. Mein Vormieter Dieter steckte mir die Telefonnummer von „Barbara“. Meine knabenhafte Phantasie spielte mir angesichts der vielen Vokale prompt die frechsten und unsinnigsten Streiche: Barbara! Bar-ba-ra!

Ich rief drei Tage später an. „Äh, es geht um das Putzen, die Reinigung meiner Wohnung . . .“, stümperte ich. „Nasdrowje? Nowosibirsk?“, kam das slawisch-herbe Echo. Barbara sprach Polnisch, ich Braunschweigisch. Die knisternde Erotik zerstob, bevor sie sich hätte ausbreiten können. Ich verstand nur Gulag. Diese raue Stimme hatte schon ein Menge erlebt und kannte die dunkle Seite der sozialen Marktwirtschaft. Ja, diese Stimme hatte schon viele Bartstoppeln gesehen.

Ich wollte gerade „Telefonstreich!“ trompeten und kapitulieren, da klärten sich mit einem Mal die Dinge: „Äh, also ich wohne in der Peterstraße 16 . . .“ – „Piterstrass? Ah! PUTZEN! Mittwoche um zwei. Funzig Mack.“ – „Prima, aber ich bin bei Arbeit . . .“, radebrechte ich. „Hab Schlussl“, beendete Barabara den Dialog der Völker. Ich legte erleichtert, aber auch eine Idee besorgt auf. Würde sie tatsächlich kommen? Woher hatte sie Schlussl?

Es begann eine schöne Zeit. Jeden Mittwoch legte ich von nun an meine funzig Mack auf den Tisch, radelte zur Arbeit, kam abends zurück – und alles war wie geleckt. Wie von der Zauberzunge! Ich lobte meine Klugheit und speiste vom Boden. Ich sah Barbara nicht ein einziges Mal, aber die Kaffeemaschine empfing mich immer mit einem frischen Filter, keine Bartstoppeln weit und breit, sogar das erste Blatt der Klopapierrolle war neckisch gefaltet. Als wenn es sich auf mich freute.

Irgendwann beschlichen mich allerdings leise Zweifel. Denn ich bemerkte schon bald, dass ich jeden Mittwoch begann, den gröbsten Unrat in aller Frühe selbst zu beseitigen. Wer möchte schon vor fremden Leuten als kleines Schwein dastehen, mit Abwaschbergen und frechen Bartstoppeln? Schließlich erweiterte ich meine Putztätigkeit immer mehr, so dass ich mich fragte: War das vielleicht doch nur Show-Putzing, was Barbara tat? Fegte sie da einmal schnell durch, zackzack, halbe Stunde? Lachte sie heimlich über diesen bescheuerten Germanski? Mir war’s egal. Die Wohnung sah immer sauber aus. So dieselte unsere nonverbale, ja non-visuelle Zusammenarbeit unaufgeregt, souverän und gleichmäßig dahin.

Doch vielleicht lief alles einfach zu geschmiert. Seit vielen Wochen schon kommt Barbara nicht mehr zu mir in die Piterstrass. Heute bin ich ein gebrochener Mann und quäle mich mit der Frage nach dem Warum. So viele Fragen. Hat Barbara einen anderen? Wer hat Schlussl? Ich bin nervös. Räumt die Russen-Mafia gerade seelenruhig meine Bude aus?