Ein magerer Köter namens Bin Laden

NEUE FREUNDE (4): In der Rua Afeganistão von São Paulo finden sich Parallelen zum richtigen Afghanistan

GERHARD DILGER hat kleine Geschichten aus São Paulo gesammelt: Terror und Krieg sind weit weg und verändern dennoch den Alltag.

Ein magerer Köter streunt durch die Rua Afeganistão. „Das ist Bin Laden“, rufen ein paar spielende Kinder am Rande der abschüssigen Gasse in der „Peripherie der Peripherie“, wie sich eine Bewohnerin ausdrückt. „Peripherie“ – so heißen in São Paulo die riesigen Armenghettos mit prekärer Infrastruktur und Todeszahlen wie in Kriegsgebieten. Kein Wochenende vergeht ohne Schießerei zwischen Polizei und Drogenbanden.

Woher die Afghanistanstraße ihren Namen hat, weiß hier keiner. Unpassend ist er nicht, findet Geraldo Luz Pereira, Besitzer der einzigen Kneipe: „Bis vor drei Jahren war das hier ein einziges Staubloch, wenn die Sonne schien.“

An Regentagen verwandelte sich die Gasse in eine Schlammpiste. Jetzt sind die gut 300 Meter asphaltiert, immerhin.

Es gibt noch mehr Parallelen zum richtigen Afghanistan: Herrscher über die Straße ist ein obskurer Geschäftsmann mit besten Beziehungen zur Polizei. Und wenn man den steilen Hang zwischen den Hütten der Neuankömmlinge aus Nordostbrasilien erklommen hat, ist es nicht mehr weit bis zur Rua Paquistão.

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30 Kilometer stadteinwärts: Nobelboutiquen, Bankfilialen und ein weitläufig angelegter Club mit viel Grün prägen die Rua Estados Unidos. Vor der Glitzerfassade einer US-Handelsniederlassung wehen die Stars and Stripes, ein paar Meter weiter lockt eine Blockbuster-Videofiliale.

Unweit dieser belebten Geschäftsstraße in Jardim Paulista, dem vornehmsten Viertel der Stadt, erheben sich die Hochhäuser des Finanzzentrums von São Paulo. Nur ein paar dunkelhäutige Obstverkäufer mit selbst gezimmerten Karren erinnern daran, dass man in Brasilien ist und nicht in irgendwo Downtown in den USA.

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Nach ersten Umfragen hießen gerade 20 Prozent der Paulistas den neuen Krieg der USA gut. Seit feststeht, dass die „intelligenten“ Bomben auch nicht schlauer sind als ihre Programmierer, sind es noch weniger.

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Terror und Krieg sind weit weg – und spuken doch in allen Köpfen herum. Kaum hatte sich die Aufregung über Briefe mit angeblichen Milzbranderregern gelegt, bekam eine Freundin eine Einladung zur Hausversammlung. Sie wohnt in einem zweiundzwanzigstöckigen Hochhaus in Flughafennähe. Wegen der Terrorattacke auf die Twin Towers, hieß es, müsse man endlich einen „Sicherheitsplan“ aufstellen.

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Dabei ist doch klar, dass das „tropische New York“ auch künftig von Kamikazefliegern verschont bleibt. Wie die deutschsprachige Brasil-Post weiß, würden potenzielle Terroristen bereits in der Vorbereitungsphase verzweifeln. Nach der Bezahlung von „Stempelmarken“ und Schmiergeldern für ein „Flugpatent“ beim „Luftfahrtsamt“ wäre nämlich für den eigentlichen Anschlag kein Geld mehr übrig. Brasilien sei eben „ein Land mit einer hervorragenden Anti-Terror-Organisation“.

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Börsianer stöhnen, der Real kränkelt, Reiseunternehmen gehen pleite. Doch Armando Valles kann nicht klagen. Der Scherzartikelhersteller wird mit Bestellungen für seine Bin-Laden-Masken überhäuft. Das schlichte Plastikmodell kostet umgerechnet 3,50 Mark, für die Luxusversion mit Barthaarimitat und handgenähtem Turban muss man dreimal so viel berappen. Das Angebot ist ausgewogen. Es gibt auch Bush-Masken. Deren Verkauf allerdings, sagt Valles, laufe „sehr schleppend“.