The West is the best?

Medien und Politker loben nach dem Terrorranschlag auf New York die Überlegenheit, Selbstreflexion und Besonnenheit unserer Zivilisation. Wie reagiert man in der arabischen Welt auf solche Selbstgewissheit des Westens. Ein Gespräch mit dem Islamwissenschaftler Gernot Rotter.

Interview: EDITH KRESTA

taz: Kommentatoren, Intellektuelle und Berlusconi wissen nun endgültig: unsere Zivilisation ist der islamischen Welt überlegen. Was sagen Sie als Islamwissenschaftler dazu?

Gernot Rotter: Es ist verständlich, dass jeder Mensch den Kulturkreis, zu dem er sich zugehörig fühlt, so erhalten möchte, wie er ist. Deswegen muss man diesen aber nicht über alle anderen stellen. Etwas anderes ist das Hervorheben einiger Grundwerte, die im Westen erkämpft worden sind. Das sind vor allem die allgemeinen Menschenrechte. Auch in der islamischen Welt hat es in den letzten Jahrzehnten Bestrebungen gegeben, diese grundsätzlichen Menschrechte aus den islamischen Grundauffassungen herzuleiten. Es gibt beispielsweise eine islamische Menschenrechtscharta, die in Paris entstanden ist. Dies hat sich aber weder bei Regierungen noch bei einfachen Menschen durchgesetzt.

Warum?

Eines der grundlegenden Menschenrechte ist die Trennung von Religion und Staat. Wenn eine Religion das alleinige Recht hat, dann werden andere Gemeinschaften ausgeschlossen und politisch als zweitrangig erklärt. Das ist unvereinbar mit Demokratie. Über die Trennung von Religion und Staat wird in der islamischen Welt gestritten. In Ländern wie Ägypten, aber auch in Pakistan, war das lange ein Diskussionspunkt. Das ist der neuralgische Punkt bei islamischen Konservativen einerseits und Extremisten andererseits. Die Trennung von Staat und Religion ist auch in Israel nicht vorhanden. Auch die Israelis haben bisher keine Staatsverfassung, weil sie nämlich auf erbitterten Widerstand der Orthodoxen stoßen. Und in Saudi-Arabien gibt ja nicht einmal den leisesten Ansatz einer solchen Entwicklung.

Trennung von Staat und Kirche ist ein sehr westlicher Wert.

Ja, aber ohne den funktioniert Demokratie nicht. Der iranische Präsident Khatami, dem man ja durchaus ehrliche Absichten unterstellen kann, versucht die Aussöhnung zwischen Freiheit und Religion. Damit gibt er zum einen zu, dass es mit der Aussöhnung von Religion und Freiheit, sprich Demokratie im islamischen Raum bislang nicht so weit her ist. Zum anderen gibt es Stimmen, die sagen, der Koran regle zwar sehr stark das persönliche Leben jedes Muslim, aber er lasse den Muslimen die Wahl, ihre Staatsform selbst zu wählen. Im Iran wird darüber eine sehr lebendige Diskussion geführt, auf einem hohen Niveau. Die Widerstände, die Khatami im eigenen Lager unter den Geistlichen hat, sind massiv. Doch die Diskussion dort hat nichts mit dem zu tun, was wir von den Taliban wissen. Das ist Steinzeit. Das sind die Roten Khmer der Muslime.

Wie werden diese Roten Khmer die Diskussion beeinflussen?

In der islamischen Welt wird die Diskussion über den Terror genau dazu führen, ob die Religion überhaupt was im Staat zu suchen hat.

Warum erst jetzt?

Die islamische Welt hat andere historische Erfahrungen gemacht als wir. Der Bruch, der bei uns zur Trennung von Kirche und Staat führte, war letztendlich die absolut traumatische Erfahrung im Dreißigjährigen Krieg. Wo zwei Konfessionen aufeinander eingeschlagen haben und in Teilen Europas die Hälfte der Bevölkerung getötet wurde. Und natürlich spielen andere historische Brüche wie die Aufklärung, die Entdeckung Amerikas u.s.w. eine Rolle. Im Islam gab es weder diese Art von Glaubenskriegen noch andere gesellschaftliche Brüche. Für gläubige Muslime ist der einzige historische Bruch immer noch die Offenbarung Mohammeds, die Zivilisation von Barbarei schied. Das heißt die Muslime haben den Gedanken, Gesellschaft und Staat zu trennen, im Grunde erst mit dem engeren Kontakt zu Europa, also im 19. Jahrhundert kennengelernt. Er tauchte zunächst in der Türkei auf und gipfelte in der Abschaffung des Kalifats. Damit zog Kemal Atatürk einen Schlussstrich und versuchte die Religion aus dem Staat herauszuhalten.

Statt eine Trennung von Staat und Religion zu forcieren wurde in den muslimischen Ländern immer die kulturelle Blütezeit des Islams und ihre Toleranz in den Vordergrund gerückt.

Ja, aber das ist Nostalgie.

Wie wird unsere Überlegenheitsdiskussion im Sinne von „the west is the best“ , in der arabischen Welt aufgenommen?

Es bestätigt genau das Vorurteil, das dort besteht.

Welches?

Das wir mit unserem Sendungsbewusstsein, allen voran die Amerikaner, versuchen unsere Werte und Normen der islamischen Welt aufzudrücken. Man kann diese Gefühl von mir aus hegen, dass unsere Kultur einen Punkt erreicht hat, wo sie den meisten anderen Kulturen überlegen ist, aber in der Diskussion mit Vertretern einer anderen Kultur, sollten wir deren Kultur zunächst einmal als gleichwertig akzeptieren. Wenn man immer das Gefühl vermittelt, der Andere ist ein underdog, führt das zu Misstrauen, zu Ohnmachtsgefühlen. Bei Extremisten wird dieses Misstrauen dann zu Hass wie es eben heute der Fall ist.

Das Misstrauen gegenüber dem Westen teilen auch arabische Intellektuelle?

Deren Kritik ist aber bei weitem rationaler als die der Extremisten. Sie kritisieren die wirtschaftliche und politische Hegemonie der Amerikaner. Sie thematisieren die Ausbeutung des Orients zugunsten des Westens. Beispielsweise bestimmen die Amerikaner die Preise des Öls. Ein Punkt auf dem auch Bin Laden herumreitet. Und dem Westen wird nicht zu unrecht Heuchelei vorgeworfen. Der Westen geht hausieren, indem er ökonomisch ziemlich schlecht dastehenden Staaten sagt: Ihr müsst Demokratie aufbauen. Aber man sagt das nicht den Saudis. Weil die Saudis eben der liebste Wirtschaftspartner sind, aber sie sind auch der repressivste Staat.

Man kritisiert also die Doppelzüngigkeit des Westens?

Ja, auch gegenüber Israel. Israel hat kaum eine Resolution der UNO – mit Ausnahme der Resolution in der die Gründung Israels beschlossen wurde –, umgesetzt. Wenn das ein anderer Staat tut, wird sofort mit Militärschlägen gedroht. Das ist ein häufig benutztes Argument von arabischer Seite.

Ansonsten wissen die arabischen Intellektuellen durchaus Vorzüge des Westen zu schätzen?

Ja. Sie mahnen sie auch bis zu einem gewissen Grad in ihren Ländern ein: Es geht vor allem um politische Spielregeln, die eingefordert werden und um Menschenrechte. Ganz nach westlicher Vorstellung. In einigen Staaten werden solche Ansprüche von Intellektuellen verfolgt. Und u.a. in Ägypten hatten wir islamistischen Terror gegen Leute, die sich für demokratische Reformen einsetzen. Das heißt, unter den Intellektuellen herrscht auch eine Angst vor Terror im eigen Land.

Angst vor Staatsterror und fundamentalistischen Terroristen? Manche arabischen Regierung und zentralasiatischen Regierungen benutzen den Kampf gegen den Islamismus, um damit gleichzeitig die gesamte Oppositon auszuschalten.

Ja, das ist das „Nützliche“ daran. In Ägypten gab es eine Mobilisierung für die Menschenrechte der Extremisten, für faire Prozesse, was oft im Argen liegt. Hier besteht natürlich im Rechtssystem ungeheures Nachholbedürfnis. Und man darf natürlich nicht vergessen: auch in Deutschland hatten wir vor den Nazis nur eine sehr kurze demokratische Tradition.

Sehen Sie in der islamischen Welt eine Unfähigkeit zur Selbstkritik wie manche Kommentatoren hier schreiben?

Die Unfähigkeit zur Selbstkritik ist weitverbreitet. Aber natürlich gibt es unter Intellektuellen auch Selbstkritik. Ich möchte hier nur an Sadeq al- Azm, einen syrischen Philosophen erinnern, der mit arabischer Mentalität, Selbstüberschätzung und mangelnder Selbstkritik übel ins Gericht ging. Dafür wurde er heftig gebeutelt. Bei gewissen religiösen Kreisen kommen dann die Verschwörungstheorien hinzu.

Nicht nur dort.

Aber besonders dort. Die Verschwörungstheorie ist natürlich auch ein Zeichen von mangelndem Selbstbewußtsein. Man schaut nicht auf sich selbst, was man falsch macht, sondern immer nach außen, um dort den Schuldigen zu suchen. Verschwörungstheorien sind im Nahen Osten weitverbreitet.

Und deshalb suggerieren die Extremisten jetzt einen Kampf der Kulturen?

Dieses unselige Buch von dem Huntington. Die Gefahr dieses Buches ist, dass es zu einer self-fulfilling prophecy wird. Geschürt von islamischen Extremisten. Aber Huntington wußte ja nicht, dass er genauso einen Quatsch redet wie die Extremisten auf der muslimischen Seite, aber er hat genau diesen Quatsch nachgebetet.

Sie setzen lieber auf Dialog?

Also mit militanten Extremisten kann man ohnehin nicht reden. Das ist sinnlos. Es ist eine gewisse Schizophrenie in der gesamten islamischen Welt vorhanden: Auf der einen Seite wünscht man sich nichts mehr als so leben zu können wie im Westen. Nur: die Mehrheit der Leute wird nie im Leben die Chance bekommen, sich ein Leben wie im Westen aufzubauen. Hier muss ein Dialog ansetzen. Die Idee von Bush, die islamischen Länder in die Terrorfront aufzunehmen, ist eine sehr gute Idee. Die Frage ist nur, ob die Amerikaner und der ganze Westen genügend Fingerspitzengefühl haben, um die muslimische Welt nicht noch weiter in ihrem Mangel an Selbstbewsstsein zu bestätigen.

Und der Dialog innerhalb der arabischen Welt?

Vielleicht kommt es jetzt zu einer Katharsis in der arabischen Welt, wie es Europa durch den Dreißigjährigen Krieg erlebt hat. Dass man erkennt: Wenn wir so weiter machen und die Religion sich weiter in den Staat einmischen lassen, können wir uns nicht weiterentwickeln. Es macht keinen Sinn auf diese Konservativen zu hören. Wir müssen nach vorn schauen. Dazu müssen wir nicht alles, was die Gesellschaft im Westen hervorgebracht hat übernehmen: nicht die Vereinsamung, nicht die Zerstörung der Familie, denn das ist für orientalische Gesellschaften abschreckend. Ich bin optimistisch, dass es da gerade jetzt eine neue Entwicklung geben könnte. Vorausgesetzt, die USA und der übrige Westen beweisen in der Praxis, dass sie nicht gegen den Islam und den Muslim antreten, sondern gegen einige Terroristen im islamischen Raum – und da beschleicht mich doch eine große Skepsis.