Fluggesellschaften droht der Ruin

Erste Massenentlassungen bei US-Airlines. Experten rechnen mit einem Zusammenbruch des inländischen Flugverkehrs. Weltweit steckt die Branche in der Krise. Auch für die Deutsche Lufthansa kann es eng werden

BERLIN taz ■ Die Attentate haben die Luftfahrtbranche in eine tiefe Krise gerissen. Die US-Fluggesellschaft Continental Airlines schickte am Wochenende 12.000 ihrer 56.000 Mitarbeiter nach Hause. Begründung von Continental-Chef Gordon Bethune: Eine „noch nie dagewesene Finanzkrise“ komme auf die Fluggesellschaften zu.

Wegen der einbrechenden Nachfrage strich Continental 500 ihrer täglichen Flüge, 20 Prozent des gesamten Angebots. „Ich kenne keine Fluggesellschaft, die Cash genug hat, um die Lage in Griff zu bekommen“, erklärte Bethune gegenüber der New York Times.

Delta Air Lines gab am Samstag einen Verlust von voraussichtlich einer Milliarde Dollar für dieses Geschäftsjahr bekannt. Wie die drittgrößte US-Gesellschaft denken auch die anderen großen – American, Nordwest und United Airlines – über Massenentlassungen nach. Kleinere Anbieter wie Midway mit 1.700 Mitarbeitern mussten bereits ihren Betrieb einstellen.

Offenbar schätzt das Weiße Haus die Lage ähnlich dramatisch ein. US-Präsident George Bush will sich morgen mit Vertretern der Fluggesellschaften treffen. Nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums liegt dem Repräsentantenhaus ein Gesetzentwurf vor, nach dem die Branche mit 15 Milliarden Dollar unterstützt werden soll.

Auf zwischen 100 Millionen und 275 Millionen Dollar beziffern Experten den täglichen Verlust durch die ausgefallenen Flüge der vergangenen Woche. Mittlerweile sind die Beschränkungen größtenteils wieder aufgehoben. Die New Yorker Investmentbank Lehmann Brothers aber rechnet damit, dass der inländische Luftverkehr kollabiert.

Die Anzeichen sprechen dafür: Die Nachfrage ist eingebrochen. Parallelen zum Golfkrieg liegen auf der Hand: Damals ging das Passagieraufkommen weltweit um 5 Prozent zurück. Unternehmen raten derzeit ihren Angestellten, nicht mit US-amerikanischen Airlines zu reisen. Hinzu kommen die enormen Kosten wegen der höheren Sicherheitsanforderungen.

Besonders schlimm steht es um United und American Airlines: Nicht nur, dass beide Unternehmen bei den Anschlägen je zwei Maschinen verloren – auf sie kommen nun auch noch Milliardenklagen der Opfer zu.

Das Problem beschränkt sich nicht auf die US-Fluggesellschaften. Analysten bezifferten das mögliche Minus der großen Airlines weltweit auf insgesamt 10 Milliarden Mark, der Internationale Luftfahrt-Verband IATA nennt sogar 20 Milliarden. Diese Befürchtung setzte dem Lufthansa-Kurs kräftig zu: Er stürzte auf 11 Euro, den tiefsten Stand seit Anfang 1997. Die Investmenthäuser sehen noch keine existenzielle Krise. Nach ihren Schätzungen dürfte der operative Gewinn aber unter 500 Millionen Euro liegen – 250 Millionen weniger als angestrebt.

Und die Zeit der Unsicherheit ist noch nicht vorbei. Angesichts der drohenden Vergeltung muss die Branche mit steigenden Treibstoffpreisen rechnen. Continental-Chef Bethune: „Möglicherweise droht uns der Konkurs.“ NICK REIMER