„Alkohol-System“ in Gefahr

Die schwedischen staatlichen Alkoholläden wollen ihr Angebot massiv reduzieren. Damit entfiele die Möglichkeit, sich auch noch im abgelegensten Dorf mit Exotischem und Starkprozentigem zu versorgen. Im Land erhebt sich lautstarker Protest

aus Stockholm REINHARD WOLFF

In Schweden ist wieder ein Streit um die staatliche Alkoholpolitik ausgebrochen. Dabei geht es um die Alkoholläden des Staatsmonopols, die „Systembolaget“, oder „System“, wie sie in der Umgangssprache heißen. Eine Hassliebe verbindet die SchwedInnen mit ihren einzigen Einkaufsquellen für Wein und stärkere Alkoholika. Mit ihrem antiseptischen Interieur und den meist langen Warteschlangen sind sie einerseits das augenfälligste Signal der bevormunderischen Alkoholvorsorge des Staats. Andererseits halten sie ein breites Angebot bereit. 5.215 Artikel umfasst die aktuelle Produkt- und Preisliste.

Dieses breite Sortiment ist zwar nicht unbedingt in allen Läden vorrätig, kann aber bestellt werden und wird dann über den nächst gelegenen Kiosk oder die Tankstelle bis in die abgelegensten Enden des Landes ausgeliefert. Binnen weniger Tage und zum gleichen Preis wie in Stockholm. Und zum Teil billiger als in alkoholliberalen Ländern, wie Deutschland, da die Alkoholsteuer bei teueren Tropfen verhältnismäßig weniger preissteigernd durchschlägt, als bei Billigweinen und Bier.

Dass dieses System mit dem „System“ also seine Vorteile hat, erkannte man auch in Brüssel. Versprach die EU-Kommission zunächst, die SchwedInnen so schnell wie möglich vom Joch staatlicher Alkoholbevormundung zu befreien, hat man jetzt langfristige Ausnahmeregelungen eingeräumt. Begründung: Die staatlichen Alkoholläden diskriminierten nicht Anbieter aus Frankreich und Italien, sondern gäben diesen eine größere Chance, mit ihren Produkten auf dem Markt Fuß zu fassen, als es in einem rein marktwirtschaftlichen Vertriebssystem der Fall ist.

Doch die Freude, auch im kleinsten nordschwedischen Dorf seinen exotischen Lieblingswein beim nächsten Tante-Emma-Laden bestellen zu können, könnte bald ein Ende haben. Beim Systembolaget – und das ist die Ursache des jetzigen Protests – will man das Angbot deutlich „verschlanken“. Zum einen insgesamt, zum anderen aber durchgehend, was den Präsenzbestand angeht. In allen Läden soll bald nicht mehr als ein „Basisbestand“ der 400 bestverkauften Weinsorten vorrätig gehalten werden. Der Rest ist dann ausschließlich als Bestellware erhältlich. Die unbefriedigende Gewinnentwicklung soll damit in den Griff bekommen werden.

Von „Kultursabotage“, „Mord am Systembolaget“ und dem „Ende der Weinkultur“ spricht Schriftsteller Jan Gulliou in der Tageszeitung Aftonbladet: Würden die Pläne Wirklichkeit, gebe es bald nur noch „Scheißwein im Tetrapak“ zu kaufen.

Ihre plötzliche Liebe zu staatlichen Monopolbetrieben haben neben Jan Guillou auch viele andere eher konservative Debattierer erkannt: Geht es um ausgefallene Gaumengenüsse traut man den sonst so gern beschworenen freien Marktkräften offenbar nicht. Für das „System“ könnte der jetzt eingeschlagene Weg den Anfang seines Endes bedeuten. Mit einem Minimalsortiment würde sich sicher die EU-Kommission wieder stärker für den Monopolbetrieb interessieren. Auch wenn dieser gerade erst einen revolutionären Schritt beschlossen hat: Das „System“ ist jetzt auch am Samstagvormittag geöffnet. Bislang waren die SchwedInnen, soweit nicht zur Vorratshaltung fähig, von Freitagabend 18 Uhr bis Montagvormittag 10 Uhr trocken gelegt.