Güüürrrtt!

■ Die ganze Wahrheit über Bremens Innenstadtbaustellen von Christoph Köster (Text) und Kay Michalak (Fotos)

Es reicht. Es geht nicht mehr. Es? Ach was! Ich gehe nicht mehr. Nie wieder werde ich einen Fuß in Bremens Innenstadt setzen. Einkaufen werde ich nur noch im Hansa-Karree, im Walle-Center oder bei Lestra, aber nicht in der Bremer Innenstadt. Jedenfalls so lange nicht, bis auch die letzte Baustelle verschwunden ist. Ich bekenne hier öffentlich: Ich bin ein Angsthase, Feigling, Warmduscher und Hasenfuß.

Am Anfang habe ich es noch so gemacht wie alle. Die ganze Innenstadt ist eine Baustelle. Doch unbeeindruckt drängeln sich die Menschenmassen an den Baugittern auf der bedrückend engen Obernstraße und ihren wenigen, dauernd verschobenen Baustellenübergängen entlang. Sie überqueren die rasend schnelle Teerpiste auf dem Marktplatz, und sie schlendern an den ausgehöhlten Gebäuderiesen der ehemaligen Börse und der Post an der Langenstraße vorbei.

Die „Buddel“-Kampagne hat sie eingelullt. Ein Maskottchen verniedlicht die Bauerei zu einem Spielchen. Es lenkt sie davon ab, dass tonnenschwere Lastkraftwagen in einem Rennfahrtempo über den Marktplatz rasen. Es sorgt dafür, dass sie die Betonspritzer auf ihrer Kleidung nicht ernst nehmen und für auswaschbar halten und sich ahnungslos dem Funkenflug und dem gleißend hellen Licht von Schweißerarbeitsplätzen nähern. Sie denken: Es ist ein Spiel. Und auch ich dachte: Es ist ein Spiel. Und ich spielte mit. Bis vor einer Woche.

Tag für Tag muss ich mindestens viermal an der alten Börse und der alten Post vorbei. Männer aus Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen rufen einander über die Straße hinweg und ins fünfte Geschoss hinauf etwas zu. „Öi dü Benno(r), hast dü'n Föistel?“ „Neeee, froach a'mal den Gürt.“ „Öi Gürt!“ „Was is'n nü scho wieda?“ ... Sie spielen bloß, und sie spielen sehr laut, sehr ehrlich und sehr schön, denke ich. Bis ich nach oben gucke.

Boah ey, was man heutzutage alles mit Kränen machen kann! Eine Schuttlore dran aufhängen. Oder ein Fass für Flüssigbeton. Oder eine ganze Riesenpalette mit Dachpfannen. Und wie schnell sie das hochziehen. Und wieder herunter lassen, um ein Betonfertigteil in den Karabiner einzuhaken. Oder die Kreissäge, die zum Feierabend nach oben gezogen wird und ein ganzes Wochenende am Seil baumelt.

Aber ist das Seil nicht ein bisschen dünn? Hält das denn? Ich meine: auf Dauer? Und dann ist das Seil mit dem Gewicht dran auch immer so in Bewegung. Es schlingert geradezu. Und guck mal: Jetzt hängen sie zehn schwere Rigips-Platten daran auf. Und ziehen die mit einem Affenzahn hoch. Da sind doch Schwerkraft und Trägheitskräfte am Werk, stehen sozusagen in Feindschaft zueinander und wirken auf das Seil ein. Und auf mich. Wenn es reißt.

Was ist denn das da oben für ein Geräusch?! Da drüben gleich neben Kurt im fünften Stock, der mit seinem Presslufthammer auf einem winzigen Stück Mauervorsprung steht und eine Wand wegmeißelt. Da knistert doch etwas?! Ja, da oben auf dem Dach, das seit Monaten noch unfertig gedeckt und jedem Windstoß schutzlos ausgesetzt ist. Mensch, da rutscht eine Pfanne. Sieht denn das wieder keiner.

Ey, da unten, da läuft doch eine Familie entlang. Mit fünf kleinen Kindern. Ach, was red' ich: mit acht unschuldigen niedlichen lammfrommen Engelchen. „Mama, wann krieg ich ein Eis?!“ „Mama, ich will auch ein Eis!“ „Mama, ich hasse Eisessen!“ Mama, Mama, Mama war sein letztes Wort. Denn die Pfanne da oben rutscht ein Stückchen weiter. Und erreicht schon fast die Kante.

Kurt! Kuuuurrrtt!! Güüüüürrrttt!!

P.S.: Vom Finke-Hochhaus soll neulich auch ganz schön was runter gekommen sein.