Großes Bohrglück

■ Ein Weltfund der Paläontologie lagert in Bremen: Ein 65 Millionen Jahre alter Bohrkern, der nachweist, warum die Dinosaurier ausgestorben sind

Für den großen Fund der Geologie brauchte man gar nicht tief ins Erdreich zu bohren. 110 Meter unter dem Ozeangrund reichten schon – und das ist nicht viel im Vergleich zu Bohrungen, die rund 1.000 Meter aus dem Erdinneren hochholen. Trotzdem war es ein Weltfund. Eine Sensation als sich nach 110 Meter immergrauen Sedimentschichten auf einmal Farbe und Material veränderten, grüne und grobkörnige Sandschichten statt dicht gepresstes Sediment, dann noch Asche und Spuren von Iridium aus dem Weltall. Nach zehn Zentimetern war der Spuk vorbei. Dann war das Sediment grau wie immer.

Das zehn Zentimeter lange Stück Bohrkern hat inzwischen die Geschichte vom Ende der Dinosaurier umgeschrieben. Sie beweisen, dass tatsächlich ein Meteorit vor 65 Millionen Jahren vor der heutigen Halbinsel Yukatan eingeschlagen ist. Ein Riesen-Meteorit mit einem Durchmesser von bis zu zehn Kilometern, dessen Staub-Aufwirbelung die Erde für Monate verdunkelte, Kälte ins Land brachte und damit das Aussterben unter den Urzeitviechern auslöste.

Vor vier Jahren wurde dieser Kern gebohrt, seitdem lagert er in Bremen, im Bohrkernlager des internationalen Ocean Drilling Programms. Gerade mal vier solcher Bohrkernlager existieren bislang. Drei in den USA und eins in Bremen. Diese vier Archive haben sich die Ozeanböden der Welt strikt aufgeteilt: Bohrungen aus Atlantik, Mittelmeer und Südozean kommen nach Bremen. Und damit auch der bekannteste unter den Bohrkernen schlechthin.

Direkt am alten Europahafen liegt Bremens einzigartige Sammlung von historischem Bohrmaterial. Die kilometerlangen Fundstü-cke aus Schlamm und Schlick werden gleich vom Schiff ins Lager gebracht. Vier Grad ist es dort kalt, so kalt wie auf dem Ozeanboden. Inzwischen sammeln sich dort hunderte von Bohrkernen in Hochregalen – „aufeinander gestapelt ein Berg von 70 Kilometern Höhe“, schätzt Archivar und Paläontologe Walter Hale.

Darin suchen internationale Forscherteams nach Beweisen für globale Klima-Änderungen. Sie nehmen Proben, aus denen man die drohende neue Warmzeit ablesen kann oder mit denen man hofft, den El-Niño-Effekt zu begreifen. „Wir versuchen dadurch das System der Klimaveränderungen zu verstehen“, meint Hale. Ganz langsam setzt sich daraus das Puzzle Erdgeschichte zusammen.

So wie mit den Dinosauriern. Alle möglichen Theorien gab es. Aber erst mit dem Bohrkern aus dem Atlantik lagen genug Beweise für die Meteoriten-These vor. Vermutlich wären Thyrannosaurus Rex sammt Dino-Vettern seinerzeit auch ohne Meteorit nicht mehr lange lebensfähig gewesen. „Der Meteorit war wahrscheinlich der letzte Schlag,“ schätzt Hale. Aber nicht nur die Dinos kamen mit der meteoritenbedingten Kälte nicht klar – rund 70 Prozent der Flora und Fauna starben damals aus. Am Ende der zehn Zentimeter Bohrkern begann langsam ganz neues Leben. Ende der Kreide-Zeit, Beginn: Tertiär-Zeit.

Der Klima-Wechsel aus Meteoritenstaub ist schon mit bloßem Auge zu erkennen. Sonst steht ein Zentimeter graues Sediment für rund 1.000 Jahre Erdgeschichte. Der grobkörnige Sand und die Asche vom Einschlag nehmen dagegen deutlich mehr Platz ein als dicht gepresstes Sediment. Die zehn Zentimeter stehen deshalb nur für ein erdgeschichtliches Interim von acht Wochen, allerdings mit schweren Folgen.

Gerade zieht eine spanische Geologentruppe Proben aus einem Mittelmeer-Kern. Alle zwei Zentimeter wird ein Loch aus einer Bohrkern-Hälfte rausgelöffelt, steril verpackt und in Spanien analysiert. Die jeweils andere Hälfte muss unberührt im Archiv bleiben. Professor Joan Grimalt hofft aus dem Kern Einblick in die letzten 200.000 Jahre des Mittelmeer-Klimas zu bekommen.

Erste Proben belegen, dass alle paar hundert Jahre das Klima um mal plus mal minus sechs Grad schwankte. Viel häufiger als bislang angenommen und viel prägnanter: „Sechs Grad ist schon eine ganze Menge“, sagt Grimalt: „Das bedeutet eine komplett andere Vegetation: von Wäldern zu Büschen.“

Auch auf Grönland konnte man dieses Phänomen schon beobachten. Grimalt will jetzt nachweisen, dass dieses Klima-Wechselspiel mindestens ganz Europa betraf. Denn das Puzzle ist noch lange nicht vollständig zusammengesetzt worden.. pipe