Alte Studie, neue Auswertung

Eltern im Umfeld des größten deutschen Atomkraftwerkes Gundremmingen sorgen sich über erhöhte Kinderkrebsraten. Auch eine Anhörung konnte nicht beruhigen. Bundesamt für Strahlenschutz kündigt neue, bundesweite Untersuchungen an

aus Günzburg KLAUS WITTMANN

Ist die Kinderkrebsrate im Umfeld von Atomkraftwerken höher als anderswo? Seit Jahren beschäftigt diese Frage die Fachwelt. Nicht nur die: Im Umfeld des größten deutschen Atomkraftwerks Gundremmingen ist die Öffentlichkeit derart besorgt, dass das Gesundheitsamt im nahen Günzburg Anfang der Woche Wissenschaftler zu einer Informationsveranstaltung einlud.

Die Ulmer Regionalgruppe der IPPNW (Internationale Ärzte zu Verhinderung des Atomkrieges) drängt seit geraumer Zeit auf weitere Studien, seit der Münchner Physiker Alfred Körblein vom Umweltinstitut eine signifikante Erhöhung der Krebsrate im Umfeld der bayerischen Atomkraftwerke in Höhe von 30 Prozent, im Umfeld von Gundremmingen gar um 40 Prozent, publik machte. Zwar war bereits 1997 vom Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) die Häufungs-These nach einer groß angelegten Studie – der so genannten Michaelis-Studie – verneint worden. Doch seit Körblein diese Studie statistisch neu ausgewertet und erhöhte Fallzahlen festgestellt hat, ist man auch bei der Bundesbehörde in Salzgitter vorsichtiger geworden. Deren Präsident Wolfram König kündigte jüngst weitere Untersuchungen an – und zwar bundesweit.

„Ionisierende Strahlung ist lediglich einer von vielen Wirkungsfaktoren, die Krebs auslösen können“, heißt es im Atomkraftwerk Gundremmingen. Ähnliches ist vom Bayerischen Umweltministerium zu hören. Dessen Sprecher, Peter Frei, meint: „Wir zweifeln die Zahlen nicht an, allerdings ist die Interpretation falsch.“ Auch an anderen bayerischen Orten sei die Zahl der Kinderkrebsfälle erhöht, obgleich es dort keine kerntechnischen Anlagen gebe.

Den besorgten Eltern helfen freilich die unterschiedlichen Ausführungen wenig. „Meine Tochter kam mit einem schweren Herzfehler auf die Welt und ich fürchte, dass es einen Zusammenhang mit dem Atomkraftwerk gibt, auch wenn es sich hier nicht um einen Krebsfall handelt“, sagt Gabriele Schumann aus der Nähe von Heidenheim. Hier, auf baden-württembergischer Seite, sei man tatsächlich jetzt erst durch die Zahlen der Körblein-Studie aufgewacht. Ulrike Häußler sagt, in ihrem Verwandtenkreis gebe es gleich mehrere Leukämiefälle.

Auch im Veranstaltungssaal in Günzburg wussten viele Teilnehmer von Krebsfällen aus dem Bekanntenkreis zu berichten. Doch es gab auch immer wieder mahnende Stimmen: Man dürfe bei aller Angst vor AKWs die anderen Schadstoffquellen nicht vergessen, Stahlschmelzwerke etwa, eine nahe Müllverbrennungsanlage oder ein Aluminieumwerk. Ein Teilnehmer aus Augsburg meinte am Ende der Diskussion, er habe sich von so viel angekündigter Fachkompetenz eigentlich mehr erwartet: „Es kann doch nicht so schwer sein, definitiv zu sagen, ob nun die Krebsraten im Umfeld von Atomkraftwerken höher sind oder nicht.“