Nichtstun in einer endlosen Landschaft

„Faulenzer“ ist ein liebevoll-drastisches Porträt junger Arbeitsloser in der finnischen Provinz (Arte, 22.10 Uhr)

Morgens ein wiederholtes, dringlicher und lauter werdendes „Harri, steh auf“: Obgleich das, wie unmittelbar einleuchtet, keinen Sinn macht. „Sollen wir Fenster putzen?“, fragt die Mutter. Kein triftiger Grund zum Aufstehen für einen 18-Jährigen, der arbeitslos ist. Harri wühlt sich tiefer in die Kissen. Schnitt, neue Szene. So sieht das aus, wenn „wir“ Fenster putzen: Mama putzt, Harri raucht. Aber das in schönster Einmütigkeit. Später hat Mama bessere Ideen, wie der heutige Tag zu verbringen wäre: „Du kannst dich in die Sonne legen.“ Das erinnert an Paul Lafargues „Recht auf Faulheit“, wo sich die Passage findet: „Genießen Sie den Untergang des Abendlandes.“

Susanna Helkes und Virpi Suutaris präzise Sozialstudie „Faulenzer“ zeigt Realität unverblendet: Arbeitslosigkeit ist kein vorübergehender Zustand, rund 25 Prozent der Einwohner in der nordfinnischen Provinz um Ämmänsaari und Suomussalmi sind in der gleichen Situation wie Harri. Der Film dokumentiert, wie die Körperhaltung der Jugendlichen Ausdruck der gesellschaftlichen Missachtung wird, die man ihnen entgegenbringt. Etwa wenn Harri, Lötkö und Bodi mit hängenden Schultern, den Kopf schwer in die Hände gestützt auf einer Bank im Arbeitsamt herumhängen. Die Kamera schwenkt unterdessen auf das Kontrastprogramm: Sachbearbeiterinnen schreiten erhobenen Hauptes und dynamisch federnden Schrittes zielstrebig durch die Gänge. So sieht der Unterschied zwischen Erwerbstätigen und Arbeitslosen also aus. Der Film wirkt inspiriert von den teils melancholischen, teils trübsinnigen Filmen der Brüder Kaurismäki: Das Leben scheint hier wie eine ziellose Fahrt durch endlose finnische Landschaften, die Bierdose an den Lippen. Orientierung suchen die Jugendlichen bei einem mittelprächtigen Schlagersänger. Der hat nur einen Nachteil: Er weiß auch nicht, wo es langgeht.

„Faulenzer“ zeigt die Jugendlichen in schlechten und guten Momenten. Ohne Frage, auch Letztere gibt es. Verbalisiert ist dies allerdings nicht, sondern die Kameraperspektive symbolisiert: Ruht der Blick scheinbar von schräg oben aus dem Fenster auf dem Auto, mit dem die Jugendlichen eine Spritztour unternehmen, so wirkt es, als beobachte dies ein eingefleischter Voyeur und Sozialneider. Kann man deutlicher sagen, dass Faulenzen Spaß machen kann? Als eines Tages wieder Mamas penetranter Weckruf ertönt, sind in Harris Bett zwei aneinander gekuschelte Köpfe zu sehen. Harri wird diesmal nicht mit Mama Fenster putzen – egal, wer putzt und wer raucht. GITTA DÜPERTHAL