Nur nie erwischen lassen

Der Anti-Wirker-Club Frankenhofen hat sich das Nichtküssen auf die Fahnen geschrieben

Nach 26 Jahren Kussembargo ist der AWC aus dem Dorfleben nicht mehr wegzudenken

Alles hat vor 26 Jahren auf einem harmlosen Grillfest im Ostallgäu angefangen. Ein Grillfest mit einschneidenden Folgen. Sechs stramme bayerische Mannsbilder mussten damals zu ihrer völligen Überraschung feststellen, dass mit dem anderen Geschlecht gleich überhaupt nichts ging an diesem bewussten, schicksalsträchtigen Wochenende. Und so schworen sie bittere Rache. Nie wieder küssen, nie wieder auf Frauen wirken wollen, war ihr unumstößlicher Vorsatz. Und deshalb wurde der AWC Frankenhofen, der Anti-Wirker-Club Frankenhofen, gegründet. „Schluss, aus, vorbei. Mit uns nicht!“, gelobten die enttäuschten Herren einander, erinnert sich Helmut Kögel. „Ein Kussboykott wurde beschlossen. Wer künftig ein Mädchen küsst, zahlt fünf Mark in die Vereinskasse.“

Nun wurden nach und nach aus den sechs Mannsbildern insgesamt neunzehn, und es gibt auch neunzehn Paragrafen im Verein. Denn sehr schnell kristallisierte sich heraus, dass sich das mit dem Kussembargo nicht so leicht durchhalten lässt.

Inzwischen ist ein ganz erklecklicher Batzen Geld zusammengekommen, alleine durch nicht erlaubte „Wirkungen“ über 15.000 Mark. Das wiederum bedeutet, dass in den AWC-Statistiken, die penibel geführt werden, mehr als 3.000 verbotene Küsse der Mitglieder registriert sind.

Die Tatsache, dass es den Club nach 26 Jahren noch immer gibt, dass er heute – mehr denn je – aus dem Dorfleben gar nicht mehr wegzudenken ist, deutet schon darauf hin, dass man sich eine Menge hat einfallen lassen. So veranstalten denn die neunzehn Herren eine ganze Reihe spektakulärer Dorfereignisse.

Das reicht von einem spannenden Maibaumfest, das alle vier Jahre stattfindet, über einen alljährlichen Super-Gedichtwettbewerb, vom Faschingsumzug bis hin zu einem nervenaufreibenden Abnehm-Wettbewerb, von einer Gegen-Olympiade bis zum Nicht-Sportler-Siebenkampf. Dahinter verbirgt sich ein Wettkampf bestehend aus Mau-Mau-Spielen, aus einem „Mensch ärgere dich nicht“-Duell, aus Schießen und Nagelschlagen, Dart und dem Maßkrugschieben sowie Eine-Halbe-Ex-Trinken.

Inzwischen sind mehr als 80 Prozent der AWC-Herren verheiratet, was zweifelsfrei die Vermutung zulässt, dass sie sehr wahrscheinlich zumindest einmal gegen die eigenen Regeln verstoßen haben werden. Findig, wie die Antiwirker sind, haben sie recht schnell Vorsorge für solche Fälle getroffen. Gegen eine so genannte Dauerwirker-Pauschale in Höhe von 20 Mark pro Halbjahr kann die eigene Partnerin nach Belieben oft geküsst und verführt werden.

„Ab dem nächsten Jahr erhöht sich die Pauschale auf 20 Euro“, merkt der Kassier und „Hauptbeauftragte für die Moral im Kaltental“, Walter Kögel, an.

Vorsorglich, falls tatsächlich die Wirkung des ein oder anderen Mitglieds nachlassen sollte, wird eine Halbjahres-Nichtwirker-Pauschale erhoben. „Und um einzelne Mitglieder vor dem finanziellen Ruin zu bewahren, gibt es auch eine Urlaubspauschale in Höhe von zehn Mark. Wer am meisten Wirkungen zu verbuchen hat, der bekommt alljährlich den AWC-Pokal des Anti-Wirker-Clubs verliehen. Wer der Preisträger ist, fällt dabei genauso unter den Datenschutz wie die Namen der drei meist geküssten Damen aus dem Kaltental. Unter den AWClern wird auch eisernes Schweigen in Bezug auf landschaftliche Besonderheiten gewahrt, und zwar insofern es lauschige, idyllische Plätze in der Umgebung angeht. Kaum ist ein neuer Radweg entstanden, hat der ein oder andere schon ein neues Revier entdeckt.

Denn zahlen muss bekanntlich nur, wer erwischt wird. Freuen über die prall gefüllte Vereinskasse können sich nicht nur die Mitglieder bei ihren zahlreichen Festen, sondern auch so manches Kinderheim und andere soziale Einrichtungen, denen immer wieder großzügig Spenden aus Frankenhofen zugehen. Ein paar statistische Daten geben noch einen besonders interessanten Einblick in das Vereinsleben: Das Durchschnittsgewicht der AWCler hat sich von 78,71 Kilogramm 1979 auf heute 89,40 Kilo erhöht. Das Durchschnittsalter liegt bei 41,3 Jahren. Die höchste Trefferquote wurde im Februar 1985 mit insgesamt 82 Wirkungen verzeichnet. Eines steht heute schon fest: Es wird weiter gewirkt, die Kasse wird sich immer mehr füllen und das Durchschnittsgewicht steigen und steigen und steigen . . .

KLAUS WITTMANN