NEUER MARKT: DIE SCHLECHTEN SOLLEN DRAUSSEN BLEIBEN
: Notwendige Manipulation

Dem Neuen Markt geht es schlecht. Noch vor kurzem galt die Hightech-Abteilung der Frankfurter Börse als berauschender Beleg für einen Boom, der sich ewig selbst verstärkt. Der Traum vom unendlichen Wachstum ist vorbei: Heute liegen die Kurse um fast 90 Prozent unter den einstigen Höchstständen; Insiderskandale, Spekulationswellen und manipulierte Kurse haben seriöse Anleger vertrieben. Fast zehn Prozent der 342 Titel sind zu nahezu wertlosen „Pennystocks“ mit Kursen unter einem Euro geschrumpft. Der schlechte Ruf des Neuen Marktes beschert vielen Firmen ein Riesenproblem: Hier lässt sich kein Kapital mehr einsammeln, um ein Unternehmen zu finanzieren. Sie überlegen daher ernsthaft, in eines der traditionellen Börsensegmente in Frankfurt oder gar ins Ausland abzuwandern.

Was wird nun in Frankfurt passieren? Wenn die Börsenleitung nichts unternimmt, wandern die „guten“ Unternehmen ab – vor allem die aus jenem Kreis der 50 wichtigsten Titel, die im Nemax 50 vereint sind. Würden zwei, drei Unternehmen dies ankündigen, sähe es für Anleger so aus, als blieben nur die schlechteren Aktien im Neuen Markt; auch alle anderen nur halbwegs marktfähigen Titel müssten dieses Börsensegment verlassen.

Daher hat die Börse eilig angekündigt, die Pennystocks würden so schnell wie möglich ausgelistet, um die Zockerei am Neuen Markt zu beenden. Nur: Eine Streichung der vorhandenen Titel ist derzeit rechtlich gar nicht möglich – und imagefördernd wären ständige Auslistungsmitteilungen auch nicht. Bleibt die Kosmetik: Der Nemax 50 wird auf 30 oder 20 Titel verengt, um eine Grenze zwischen seriösen und unseriösen Titeln zu ziehen. Das aber wird einen Aufschrei der Empörung unter den Firmen auslösen, die nicht im Nemax 30 oder 20 landen, obwohl sie weiterhin solvent sind.

Trotz dieser taktischen und rechtlichen Probleme bleibt der Börse keine Wahl: Sie muss die Pennystocks loswerden, sonst droht der Kollaps des Hightech-Segments. Diese Verschlankung des Neuen Markts bzw. des Nemax bedeutet allerdings, gegen die reine Lehre zu verstoßen: Schließlich ist die Funktion einer Börse, den Wert der gehandelten Anteile in guten wie in schlechten Zeiten festzustellen. Das Ende der Internet-Euphorie und die weltweit schlechte Nachfrage nach Computerprodukten, die maßgeblich zum Kursverfall beigetragen haben, müssen sich in den Aktienpreisen am Neuen Markt spiegeln – dieser ganz traditionellen Marktprobleme entledigen sich die Frankfurter bei einer Bereinigung des Kurszettels gleich mit. Dies bedeutet einen börsenpolitischen Sündenfall. Doch es gibt keine Alternative, wenn man den Neuen Markt insgesamt retten will. DIETMAR BARTZ