Der Pathologe des Alltags

Horst Evers liest seit über zehn Jahren auf Berliner Kleinkunstbühnen seine Geschichten über Umzugschaos und Schimmelkulturen. Nun erntet er Kabarettpreise – und zeigt sich karriereunlustig

von KIRSTEN KÜPPERS

Manchmal steckt Horst Evers Besuchern unauffällig seine kaputten elektronischen Geräte in die Tasche. So hat er wenigstens die Hoffnung, sie kommen in gute Hände. Immer noch besser als wegschmeißen. Oft schreibt Horst Evers auch ausführliche Briefe an seinen eigenen Briefkasten. Bisweilen redet er mit den Schimmelkulturen unter seiner Fensterbank. Berge schmutzigen Geschirrs liest Evers wie ein Poesiealbum.

Man kann also sagen, Horst Evers habe ein inniges Verhältnis zu seinem Zuhause. Seine Lageberichte aus dem Mobiliar einer dunklen Parterrewohnung im Berliner Arbeiterbezirk Wedding sind sympathische Momentaufnahmen der Verwahrlosung. Sie geben einem das beruhigende Gefühl, dass man nicht allein ist mit den kleinen Verzweiflung über die mangelnde Ordnung der Dinge in der Welt. Denn auch Nachlässigkeit kann Sinn machen. Das beweisen so krude Zimmerbeschreibungen wie: „Die unterste Schicht ist durch monatelanges Festtreten bereits zu einer recht brauchbaren Braunkohle evolutioniert, die ich in kleinen Fläzen aus dem Boden heraussteche und an Freunde mit Ofenheizung verkaufe, ein lukrativer Nebenverdienst.“ Und mit solchen Texten hat sich Evers nicht zuletzt auch herausarbeiten können aus diesem freundlich-elenden Mikrokosmos im Wedding.

Denn nach über zehn Jahren wöchentlichen Auftretens auf Berliner Kleinkunstbühnen scheint für den 34-jährigen Geschichtenerzähler der Durchbruch erreicht: Die lokale Vorleseberühmtheit Horst Evers wird nun auch außerhalb Berlins für seine hübschen Pathologien des Alltags mit Auszeichnungen überhäuft. Allein im Monat Mai nahm Evers nicht nur den „Prix Pantheon“ in Bonn entgegen, sondern auch den in der Kabarettszene so renommierten „Salzburger Stier“. In der Harald-Schmidt-Show hatte er ebenfalls einen Auftritt. Und schon lange wohnt Horst Evers nicht mehr als allein stehender Germanistikstudent und Teilzeitbeschäftigter bei der Post in einem unaufgeräumten, lichtarmen Zimmer im Wedding. Sondern in geordneten Verhältnissen mit Gabi, der Freundin, und Roberta, dem Baby. Eine weite, helle Wohnung ist jetzt das Zuhause. Dazu in einem Stadtteil, der gemeinhin als bessere Gegend von Kreuzberg gehandelt wird.

So stellt sich denn auch bei so leichten, heiteren Texten, wie Evers sie schreibt, unvermittelt die große Frage nach der Wahrhaftigkeit. Schließlich handeln Evers’ Stücke nach wie vor von Fäulnisprozessen im Kühlschrank, von Umzugskartons, die nie ausgepackt werden, und von der Antriebslosigkeit eines liebenswerten Phlegmatikers, der irgendwo zwischen Bier, Zigaretten und Fernseher versunken seine Tage herumbringt. Alles ausgedacht? Aus Erinnerungen gefüttert? Phantasie?

Der echte Horst Evers sitzt in der Mittagssonne am Küchentisch und blinzelt müde. Er wirkt ein wenig wie ein großes überfallenes Tier. Bestimmt hat ihn das Baby in der Nacht wachgehalten. Eben musste noch das Fax an den Radiosender weggeschickt werden, dann klingelte das Telefon. Irgendwo liegt die Gitarre auf dem Boden, daneben Badeschlappen, ein Stoffhase. Und jetzt kommt auch noch ein Interview. Evers strahlt die demütig bleierne Erschöpfung aus, die junge Eltern so häufig ihrer Umgebung vermitteln.

Natürlich habe sich der echte Horst Evers verändert, antwortet er langsam. Dennoch sei das immer noch er selbst, den er da beschreibt. Die unausgepackten Umzugskartons stünden im Flur, der Kühlschrank sei wirklich kaputt gegangen. Und als man später beim Rundgang durch die Wohnung eher zufällig den Raum entdeckt, in dem er arbeitet, nimmt man ihm das realistische Überfordertsein vom Wesen jeder Ordnung dann auch tatsächlich ab. Niedrige, beige tapezierte, vier Quadratmeter Durcheinander sind das. Zwischen die Haufen von Papier und Zigarettenschachteln wurden irgendwie noch ein Fernseher und eine Couch geklemmt. Hier schreibt er seine Texte im Liegen.

Nach all dem Trubel mit den Auszeichnungen wünsche er sich im Moment wirklich nichts sehnlicher, als einfach nur dazuliegen und in die Luft zu gucken, gibt er in dieser privaten Wildnis stehend dann zu. Diese offenkundige Karriereunlust macht Horst Evers zu einem so netten Prominenten. Selbst bei Harald Schmitt behielt er diese Gelassenheit. Fast ein wenig schleppend hat er dort seine Umzugskistengeschichte vorgelesen. Das wirkte ungewöhnlich langsam für Fernsehverhältnisse. Auch angenehm trostreich.

Demnach ist Horst Evers zwar angekommen im professionellen Geschäft der Unterhaltungsbranche. Seine fatalistischen Betrachtungen über alltägliches Leben und Scheitern in der Großstadt verfolgt er aber trotz Gastspielen, Soloprogrammen und Anfragen von Fernsehanstalten auf vertraut unaufgeregte Weise weiter. Immer noch steht er regelmäßig Woche für Woche in seinem roten Cordhemd auf Berliner Bühnen und bringt dort die Menschen zum Lachen. Etwa bei der Textleseshow „Dr. Seltsams Frühschoppen“, die er 1990 nach beinahe klassischem Beginn im Studentenkabarett zusammen mit fünf Freunden gegründet hat. Oder beim „Mittwochsfazit“, einer zweiten wöchentlichen Show, in der meistens über das Seelenleben von Yoghurts und Frühstücksmarmeladen nachgedacht wird.

Diese Berliner Kleinkunstgemeinde will er auch weiterhin mit Texten beliefern. Und es seien Geschichten, die er schreibt, nicht Literatur, beharrt Horst Evers. In Zeiten, in denen die diversen Berliner Lesebühnen sich zu Teilen geradezu dankbar vom Literaturbetrieb einnehmen lassen, ist das eine überraschend freimütige Aussage. Gerade von einem, der als einer der standhaftesten und beliebtesten Vertreter dieser Szene gilt.

Allerdings wandeln sich beim Spagat zwischen Off-Kultur und professionellem Entertainmentgeschäft dann doch auch manche alten Gewohnheiten. „Fensterputzen geht schnell. Ich spritze reichlich Glasreiniger auf die verdreckten Scheiben und hoffe, dass es im Laufe des Tages noch regnet. Fertig.“ Das war noch eine Horst-Evers-Geschichte aus seinem 1997 erschienenen Buch „Wedding“. Inzwischen werden die Fensterscheiben auf andere Weise gereinigt. „Wir lassen jetzt putzen“, sagt er mit einem schüchternen Lächeln. Man merkt, dieser Luxus ist ihm ein wenig peinlich.

Dr. Seltsams Frühschoppen, sonntags 13 Uhr, Kalkscheune, Johannisstraße 2; „Mittwochsfazit“, mittwochs 21 Uhr, Schlot, Chausseestr. 18, beides in Berlin-Mitte