Reisen ist schön. Reisen Sie!

Sechs scheinbar simple Thesen über das Reisen – und ihr Zusammenhang mit den taz-Reiseseiten

von EDITH KRESTA

1 Reisen bildet.

taz-Leser sind gebildet, gut verdienend, weltoffen. Sie reisen gern und viel, am liebsten individuell und möglichst weit weg. Grund genug, um samstäglich eine Rubrik Reise in der taz zu bringen. Zwei Seiten sind es noch, drei waren es einst, bis bei einer Rettungskampagne eine Seite dem Rotstift zum Opfer fiel.

2 Reisen ist Begegnung mit dem Fremden.

Auch wenn manche behaupten, der industrielle Tourismus habe das Reisen beendet, taz-Leser halten unbeeindruckt von vorbeirasenden klimatisierten Luxusbussen Ausschau nach dem Fremden, dem Ungewöhnlichem, dem Irritierenden. Sie schauen den Einheimischen nicht mehr in die Töpfe, wie den „Alternativtouristen als Speerspitze des organisierten Tourismus“ vorgeworfen wurde, aber sie lassen sich ein bisschen auf die Bedrohungen der Fremde ein. Auch die Autoren unserer Reiseseiten.

3 Reisen tut jeder gern.

Und wenn einer eine Reise tut, dann kann er bekanntlich was erzählen. Und so flattern in die Reiseredaktion Unmengen unangeforderter, aber begeisterter Berichte. Das ist schön, auch wenn wir nur einen kleinen Teil davon abdrucken können. Manche Texte von „Sonnenaufgängen am Ararat“ und „Wolkenspielen auf heiligen Höhen“ bleiben unberücksichtigt. Weil wir, bei aller Begeisterung, auch auf unseren Reiseseiten journalistische Kriterien ansetzen. Eine Reportage ist auch dort eine Reportage, die fokussiert, mittendrin ist und gut geschrieben sein will. Auch im Bereich Reise braucht man Autoren mit Fachkenntnissen und mehr als den rein subjektiven Erlebnisblickwinkel. Eine gute Reisereportage erfordert nachhaltige Recherche und Handwerk. Und sie bietet die Chance, ein afrikanisches Land jenseits von Aids, Hunger und Bürgerkrieg zu porträtieren. Es ist ein Blick über den eigenen Tellerrand hinaus, auch ohne negative Schlagzeilen.

Reiseseiten bieten Welterfahrung im Positiven, bei der Gourmettour in der Toskana auch im hedonistischen Sinne. Allgemeine Berichte zu Land und Leuten zwischen Senegal und Südpol überlassen wir den ohnehin unzähligen Reiseführern.

4 Reisen ist schön.

Und damit es noch schöner wird, kritisieren wir die Schattenseiten der Sonnenscheinindustrie. Wir schreiben über ökologischen Raubbau, die Plünderung der letzten Mythen fürs Folkloreprogramm und die wirtschaftliche Ausbeutung an den Stränden der Dritten Welt durch den Global Player der ersten Stunde: Tourismus. Wir promoten sozialverträgliche und ökologische Urlaubsformen und Projekte. Und nehmen den Widerspruch einer ökologisch fragwürdigen Flugreise nach Neuseeland zur Förderung eines umweltverträglichen Projekts dort in Kauf. Dabei vergessen wir nicht, Verzichtsforderungen zu thematisieren, was den auf Ressourcenverbrauch orientierten Lebensstil unserer Industriegesellschaft betrifft. Wir setzen uns ganz klar für die Besteuerung von Flugbenzin ein.

5 Reisen ist Lifestyle.

Wir leben, sagen Soziologen, in einer Spaß-, Freizeit-, Wellness- und Eventgesellschaft. Und Spaß, Freizeit, Wellness und Event finden wir am konzentriertesten im touristischen Angebot. Der Tourismus ist der Eckpfeiler des organisierten Spaß-, Gesundheits- und Fitnessbetriebs. Und bietet somit Themen ohne Ende. Die scheinen nur im weitesten Sinne etwas mit Reisen zu tun zu haben.

Aber genau hier liegt der Trend: Der Tourismus hat das Fremde heimelig gemacht, und nun fühlen wir uns überall daheim und führen uns auf wie in unserem Wohnzimmer oder in der Selbsterfahrungsgruppe. Der Tourismus ist angetreten, die „Leiden der Moderne“ zu kompensieren und uns Lebenshilfe zu spenden. Dabei ist Tourismus ein Konsumgut wie eine Waschmaschine, mit dem kleinen Unterschied: Hier ist das Glück käuflich!

6 Reisen ist flow.

Trotz alledem. Reisen macht Spaß, ist intensiv, nimmt unsere ganzen Sinne gefangen: durch den Kick, den schönen Moment, die perfekte Inszenierung, den erhabenen Augenblick, das Abenteuer unter Palmen. Alles fließt, und damit ist nach dem ungarischen Philosophen Csikszentmihalyi der höchste Zustand der Zufriedenheit erreicht. Also, reisen Sie!

Aber vergessen sie bei der Suche nach dem ultimativen Angebot nicht: Reiseseiten dienen nur als werbewirksames Umfeld für Anzeigen. Bei uns hat das leider nicht geklappt. Grade deshalb: taz muss sein!