Radeln durchs Grüne

Fahrradfreak Michael Cramer führt in einer Broschüre entlang der Mauer durch zehn Jahre grüne Stadtpolitik

Für die Ziele seiner Politik buckelte der Michael Cramer monatelang nach oben und trat nach unten: Der Bündnisgrüne Abgeordnete ist ein Pedalritter erster Güte. Glaubt man einer gestern erstmals vorgestellten Fraktionsbroschüre, hat sich Cramer zehn Jahre lang nur mit einem beschäftigt: der Berliner Mauer – und dem, was von ihr übrig blieb. Sämtliche 160 Kilometer des ehemaligen Todesstreifens ist er abgeradelt und hat den Beweis erbracht: „Man kann drumherum fahren.“ Nur 200 Meter musste er durch den märkischen Sand schieben.

Dreizehn verschiedene „Mauerstreifzüge“ zwischen 7 und 20 Kilometern Länge hat er nun auf 80 Seiten Recyclingpapier veröffentlicht. Der 51-jährige Neuköllner führt den Leser zum Potsdamer Platz, an die Stelle, wo sich 1989 die Bürgermeister von Ost und West beim Mauerdurchbruch die Hände schüttelten.

Vorbei am Grenzwachturm Stresemannstraße, den demnächst ein Abrissbagger wegräumen soll. Hin zum Checkpoint Charlie, dessen Abfertigungsgebäude als Nachbauimitat wieder aufgestellt wurde. Entlang der Betonreste an der Niederkirchner Straße, wo Cramers Parteikollegin Michaele Schreyer als Senatorin die Reste des antifaschistischen Schutzwalls unter Denkmalschutz stellen ließ.

Doch Cramer führt auch an die einstige Außengrenze Westberlins, wo der Turm der Sacrower Heilandskirche selbst zur Mauer werden musste, oder an den Teltowkanal. „Eine Idylle“ schwärmt Cramer von dem dort naturbelassenen Brachland. Doch nun soll die „wertvollste Fläche der Stadt“ durch eine neue Autobahn durchschnitten werden.

Cramer wäre kein Grüner, wenn er bei so etwas still sitzen könnte. Und so enthält seine Broschüre neben Text und dutzenden Fotos auch Abdrucke zahlreicher grüner Anträge an das Abgeordnetenhaus: Da geht es um den Wiederanschluss unterbrochener Straßenbahnlinien, da soll der Senat am Tegeler See oder im Bucher Forst Naturschutzgebiete schaffen. Da sollen Spree, Havel und der Teltowkanal vor einem Ausbau zur „Großschifffahrtsstraße“ geschützt werden.

Und so wird die neue Broschüre auch zum Führer durch zehn Jahre grüner Stadtpolitik. Sie dokumentiert den erfolgsarmen Versuch, die ungeliebte große Koalition ab und zu einmal für Ziele der Umweltfraktion zu begeistern. Denn dabei rannte der oppositionelle Verkehrsexperte Cramer oft genug gegen die Mauer. TILMAN STEFFEN