Die zwei Seiten einer Stadtwerkstatt

Zehn Jahre Stadtforum in Berlin sind auch zehn Jahre Planungskultur. Um die ist es allerdings nicht mehr allzu gut bestellt. Aus der einstigen „Denkwerkstatt“ Stadtforum ist inzwischen sogar ein Ort für Denkverbote geworden. Eine kritische Bilanz

Unter Peter Strieder wurde aus dem Stadtforum ein Forum StriederizianumDas Stadtforum liefert nur noch alte Antworten auf neue Fragen

von UWE RADA

Stadtbilderklärer haben es nicht leicht in Berlin. Ständig müssen sie zwischen dem lieb gewonnenen Fachvokabular („Traufhöhe“, „Gestaltungsssatzung“, „Kritische Rekonstruktion“) und Volkes Stimme („Schau mal, Horst, ist das nicht eine tolle Fassade! Sieht fast aus wie früher, das Adlon!“) vermitteln.

Am schwersten haben es die Stadtbilderklärer aber, wenn sie nicht das Adlon, sondern den Potsdamer Platz erklären müssen. Das geht dann etwa so: „Eigentlich dürfte es hier gar keine Hochhäuser geben, der rot-grüne Senat war dagegegen. Doch der wurde abgewählt, und der 1991 ernannte CDU-Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer war für etwas größere Häuser. Ganz so groß wie die Investoren wollte er es dann auch wieder nicht, deshalb wollte er, wie er sagte, den Tiger reiten. Doch der Tiger ritt am Ende den Reiter, und so kam es, dass hier heute drei Hochhäuser stehen, die aber im Vergleich zu New York oder Kuala Lumpur eher mickrig ausfallen.“

So oder so ähnlich muss es auch im April 1991 zugegangen sein. Nur dass damals nicht die Stadtbilderklärer, sondern die Stadtbildner selbst am Werk waren. Unter der Leitung von Volker Hassemer war damals erstmals das Berliner Stadtforum zusammengekommen, um etwas Licht in den Dschungel der Berliner Planungsdebatten zu bringen. Und der Potsdamer Platz stand ganz oben auf der Agenda.

Wer kennt sie nicht, die berühmte Warnung des ehemaligen Daimler-Chefs Edzard Reuter, vor dem Berliner „Posemuckel“. Vorgetragen wurde dieser flammende Appell wider den Berliner Provinzialismus (und die planerische Selbstbeschränkung am Potsdamer Platz) auf der ersten Sitzung des Stadtforums am 12. April 1991.

Das alles ist nun mehr als zehn Jahre her, und warum sollte sich nicht auch das Stadtforum zum Jubiläum einen Rückblick verordnen, die Debatten der vergangenen Jahre selbst zum Gegenstand der Diskussion machen. „Öffentliche Politikberatung, Stadtdialog oder Therapie für Bürger“ heißt deshalb die nunmehr 83. Sitzung des Stadtforums, die am Freitagnachmittag im Alten Stadthaus am Molkenmarkt über die Bühne gehen wird.

Mit von der Partie sind die Unvermeidlichen wie der Stadthistoriker Dieter Hoffmann-Axthelm oder der Moderator und Baujurist Rudolf Schäfers, aber auch die Unerwarteten wie die Fernsehmoderatorin Maybritt Illner, die über den „Wert von Politikberatung“ berichten wird, oder der Chefredakteur des Tagesspiegels, Giovanni di Lorenzo, mit einem Vortrag über „Stadtentwicklung und Stadtdialog“.

„Im Rückblick erscheinen die Anfänge als aufregende Auseinandersetzung über Entwicklungs- und Planungsansätze“, zieht der Architekt und Kritiker Robert Frank eine ganz persönliche Stadtforumsbilanz. Doch wenn Frank von den Anfängen spricht, schwingt darin auch das Ende mit, eingeleitet durch einen Senatorenwechsel und eine Neukonzeption, bei der das Stadtforum an „Intensität und Präzision“ verloren habe.

Tatsächlich müsste man eigentlich zwei Bilanzen ziehen, jene von 1991 bis 1996 unter dem CDU-Politiker Hassemer und jene zwischen 1996 bis heute unter seinem SPD-Nachfolger Peter Strieder. War das Stadforum in den ersten fünf Jahren seines Bestehens eine im Zweifelsfall immer offene, chaotische, ungeordnete, damit aber auch intellekturell oftmals überraschende Bühne für streitlustige Kontrahenten, verlor das Gremium unter der Regie von Peter Strieder an Streitkultur. Dies ist umso erstaunlicher als sich das Strieder-Forum nicht mehr nur mit stadtplanerischen Streitfragen, sondern zunehmend auch mit der „Zukunft der Stadt“ beschäftigte. Schließlich war der Stadtumbau bis 1996 im Wesentlichen vollbracht, dafür waren aber andere Themen, namentlich soziale, in den Vordergrund gerückt. Keine schlechten Voraussetzungen eigentlich, um die „Quasselbude“, wie Hassemers Forum oft genannt wurde, zu einer wirklich aufregenden Werkstatt über städtisches Leben und Bauen zu machen.

Dass dies nicht geschah, hatte nicht zuletzt auch mit den unterschiedlichen Vorstellungen der beiden Senatoren zu tun. Volker Hassemer war 1991 tatsächlich mit dem Anspruch angetreten, sich beraten zu lassen, und setzte deshalb vor allem auf Meinungsvielfalt. Sein Nachfolger Peter Strieder dagegen zog es vor, sich aufs Feld der Machtpolitik zu begeben. Nicht um Input ging es ihm, sondern um Output, nicht um Information und Kritik, sondern um Durchsetzung der eigenen Vorstellungen. So wurde aus der Hassemer’schen „Quasselbude“ ein „Forum Striederizanum“, in dem der machtbewusste Sozialdemokrat vor allem lieb gewordene Experten und Expertisen um sich scharte. Aus offenen Fragen wurden öffentlich formulierte Antworten.

Man muss sich als Stadtbilderklärer gar nicht weit vom Potsdamer Platz entfernen, um die neuen Themen der Stadt dem Publikum nahe zu bringen. Kaum hundert Meter von der Alten Potsdamer Straße mit ihren Pariser Bistrosesseln entfernt erstreckt sich hinter der Potsdamer Brücke eines der sprichwörtlichen Berliner Problemquartiere. In Tiergarten-Süd, so der Name des Quartiers, hat man in der Tat mit anderen Problemem zu kämpfen als mit Traufhöhen, Gestaltungssatzungen und Kritischen Rekonstruktionen. Dort herrscht vielmehr der soziale Überlebenskampf eines Armuts- und Einwanderungsquartiers. Über 30 Prozent der Bewohner sind nichtdeutscher Herkunft, die Arbeitslosigkeit liegt mit 25 Prozent weiter über Berliner Durchschnitt, die Perspektiven dagegen weit darunter. Auch im Westen der Hauptstadt gibt es, um mit Wolfgang Thierse zu sprechen, Gebiete, die „auf der Kippe“ stehen.

Auch im Stadtforum hat das Thema „soziale Stadt“ inzwischen Einzug gehalten. Dabei muss man dem zuständigen Senator und seiner handverlesenen Lenkungsgruppe noch nicht einmal vorwerfen, viel zu spät auf das Thema reagiert zu haben. Entscheidend ist vielmehr, wie Peter Strieder mit diesem Dauerbrenner umgegangen ist. Statt der von lokalen Initiativen geforderten Mietpreisbegrenzungen gab es Quartiersmanager, die den Problemvierteln unter anderem ein neues Image geben sollten. Und über allem schwebte die von Strieders Senatsbaudirektor Hans Stimmann entfachte Debatte um die „neuen Urbaniten“. Nicht die „Problembürger“ sollen künftig im Mittelpunkt stehen, sondern die „Wunschbürger“, die Strieder und Stimmann am liebsten massenhaft in den Problemquartieren angesiedelt hätten, auf dass auch in Tiergarten-Süd künftig „good news“ von den Eliten der neuen Mitte ausgehen.

„Wir beschäftigen uns nicht mehr mit dem Wohnungsbau für sozial Schwache, sondern für sozial Starke“, lautet eines der Glaubensbekenntnisse von Hans Stimmann. Kein Wunder, dass Themen wie „neue Wohnformen“ deshalb an Konjunktur gewonnen haben, auch im expertenamtlichen Diskurs des Stadtforums oder seiner kleineren Schwester, den „Architekturgesprächen“. Dort durfte man endlich Tacheles reden, über die Restriktionen des sozialen Wohnungsbaus räsonieren oder vom neuen Luxus schwärmen, den sich so mancher Bauherr wünscht. Es war die Stunde des Hans Kollhoff. Der hatte mit den Leibniz-Kolonnaden gerade einen dieser neuen Wohnpaläste gebaut und forderte nun ein neues Dienstleistungsdenken der Architekten gegenüber den neuen Reichen.

Was Kollhoff darunter versteht, können Stadtbilderklärer schon heute in Dahlem zeigen. Dort baute Kollhoff für die Familien Gehrl ein klassizistisch anmutendes Schloss der Neuzeit und setzte baulich um, was er ideologisch schon lange fordert: ein Plädoyer für eine „soziale Verfeinerung“. Schließlich gibt es, so Kollhoff, „keinen anderen Weg, aus der Hässlichkeit der sichtbaren Welt zur Schönheit zu finden“. Dem Senator und seinem „Forum Striederizanum“ ist damit das Kunststück gelungen, neue Fragen neue Fragen zu thematisieren und zugleich Antworten zu formulieren, wie sie rückwärts gerichteter nicht sein könnten. So war das in absolutistischen Zeiten, und so ist es heute noch immer.

„War das Stadtforum zuerst eine Denkwerkstatt, die sich den Kopf des Senators machen sollte, geriet die Fortsetzung eher zur Bühne oder – polemischer formuliert – zur PR-Veranstaltung des Senators.“ Solch deutliche Worte, wie sie der Kritiker Robert Frank in seiner Stadtforums-Bilanz ausspricht, sind selten. So selten wie die Kritik an den Architekturwettbewerben und ihren Ergebnissen zu Beginn der Neunzigerjahren. Das hat einen einfachen Grund. Ähnlich dem „Architektenkartell“ von damals ist es Strieder und seinem Baudirektor nun auch gelungen, ein „Stadtkartell“ aufzubauen.

Das ist die eigentliche Schattenseite des „Erfolgsmodells“ Stadtforum, das sich rühmt, inzwischen auch im Ausland Nachahmung gefunden zu haben: dass Kritiker mit bemerkenswerter Energie entweder ausgegrenzt oder ins Boot geholt werden. Auch ein Ausflug ins Stadtforum lohnt deshalb die Mühe des Stadtbilderklärers. Dort sitzt das Stadtkartell entweder auf dem Podium oder auf den Zuschauerbänken und wird nicht müde, urbanistische Deutungsmacht für sich zu reklamieren.

Und auch die Architekten, Planer, Denkmalpfleger und Journalisten im Publikum wissen: Im Freund-und-Feind-Denken, das unter der Ägide Strieder Einzug ins Forum gehalten hat, gibt es nichts mehr dazwischen, nicht einmal mehr einen kleinen Auftrag. So schnell können aus Denkwerkstätten Denkverbote werden. Auch das gehört zur Bilanz des Berliner Stadtforums.

Was aber hätte anders laufen können? Wie hätte die von Robert Frank gewürdigte „Denkwerkstatt“ weitergeführt werden können. Gab es Alternativen? Das „Stadtforum von unten“ war jedenfalls keine. Von einigen Stadtteilaktivisten ins Leben gerufen, scheiterte das Alternativgremium von Anfang an seiner Kiezperspektive und damit an seinem Egoismus und Partikularismus. Die einen beanspruchten für sich den Kampf gegen Yuppies, die anderen für mehr Grün. Ein Entwurf für eine andere Stadt ergab sich daraus nicht.

Zehn Jahre Stadtforum sind somit auch zehn Jahre Unfähigkeit der Kritiker, einen eigenen Diskursrahmen zu finden. Aber vielleicht ist das ja auch gar nicht nötig. Vielleicht finden die Stadtbilderklärer ja auch einmal den Weg zu anderen Orten, dorthin, wo weder Hans Kollhoff eine Villa gebaut, Stimmann seine Traufhöhe durchgesetzt oder Hoffmann-Axthelm die Vergangenheit entdeckt hat. Dorthin, wo die Stadt so ist, wie sie ist: ungeplant, anarchisch, lebendig. Zum Beispiel zum Berliner Ostbahnhof. Trotz des City Carres der Dresdner Bank und einem Masterplan für das Spreeufer sind dort bislang alle Urbanisierungsversuche gescheitert. Die neue Stadt, das ist am Ostbahnhof eine eigenwillige Mixtur aus Buden, Ständen, neuen Clubs und dem ehemaligen Centrum-Warenhaus, die urbane Landschaft eines zum Dauerzustand gewordenen Provisoriums. Solche Orte machen Mut, auch für die nächsten zehn Jahre. Warum? Weil sie mit Aneignung von unten weitaus mehr zu tun haben als mit Planung von oben.