Für eine Handvoll Bits

Heute vor 60 Jahren präsentierte der Berliner Ingenieur Konrad Zuse den ersten Computer, „Z3“. Berliner Universitäten präsentieren nun einen Nachbau, damit Studenten das Prinzp der wegweisenden Urmaschine nachvollziehen können

„Mein Vater redete schon beim Frühstück nur über seine Maschinen“

von TILMAN STEFFEN

In einem öden Seminarraum der Technischen Universität (TU) in Berlin-Dahlem steht ein schlichter Ständerrahmen aus eckigem Winkelstahlrohr. Daran hängen zwei etwa 80 mal 50 Zentimeter große, kupferbeschichtete Leiterplatten. Leuchtdioden blinken. Diese Maschine kann rechnen – die vier Grundrechenarten und Quadratwurzeln ziehen. Das erscheint im Vergleich zu handelsüblichen Taschenrechnern banal. Aber vor 60 Jahren war es ein Riesenerfolg.

Am 12. Mai 1941 hatte der Berliner Ingenieur Konrad Zuse sein schrankgroßes Rechengerät „Z3“ in der bescheidenen Öffentlichkeit seines Wohnzimmers erstmals vorgeführt. Mitarbeiter der Technischen und der Freien Universität Berlin entschlüsselten jetzt die komplizierte Schaltstruktur des Originals von 1941 und bauten die Z3 nach – als vereinfachtes Modell. Sie ätzten Leiterplatten, verlöteten Relais und Leuchtdioden. Gymnasiasten und Berufsschüler aus Sachsen, Hessen und Berlin bauten Rahmengestell und Steuerpult.

Doch wer in den Räumen des „Zentrum für Informationstechnik Berlin“ (ZIB) nun das geheimnisvolle Ticken und Summen der elektromagnetischen Relais, umgeben vom typischen Geruch schwer beschäftigter Elektrik vermutet, wird enttäuscht. Entstanden ist nur ein Lehr- und Anschauungsmittel, das die Funktionsweise des Originals veranschaulicht.

Die Hauptbauteile des Urcomputers waren zahllose Relais. Damit auch Informatiklaien die Datenflüsse zwischen Speicherwerk, Rechenwerk, den Registern oder der Steuereinheit verfolgen können, zeigen am Nachbau rote Leuchtdioden den Schaltzustand des jeweiligen Relais an. Zahlen gibt man mittels Bildschirmklick ein, erklärt Raul Rojas, Informatiker der Freien Universität. Die ursprüngliche Steuerkonsole von 1941, auf der Lampen die Rechenergebnisse anzeigten, wird auf einer modernen Mattscheibe simuliert.

Wenn die moderne „Z3“ auch nicht die gigantischen Maße des Originals aufweist, rechnet sie doch nach genau demselben Prinzip: Zwei Summanden, als Dezimalzahl eingegeben, werden in so genannte Binärzahlen umgewandelt, eine Folge von Nullen und Einsen. Später verknüpft sie die Maschine logisch miteinander, bevor sie die Zwischenresultate zu einem Ergebnis kombiniert. Dies muss dann nur noch in die verständliche Dezimalzahl rückverwandelt werden. Das Prinzip wendet noch heute jeder Rechenchip an.

Das Jubiläum der Zuse-Erfindung würdigte das Dahlemer ZIB gestern mit einem Symposium. Informatiker aus Deutschland und den USA würdigten den Computervater oder referierten über die ersten Rechenknechte der Welt. Und Horst Zuse, der heute 56-jährige Sohn des Erfinders und Privatdozent der TU, berichtete über die Arbeit seines Vaters, den 1910 in Berlin geborenen Konrad Zuse.

Der tüftelte von 1936 bis 1945 an vier aufeinander folgenden Modellen: Die „Z1“ war ein tischgroßes, mechanisches Rechenungetüm, die legendäre „Z3“ der erste funktionierende, programmgesteuerte Computer der Welt. Der Ingenieur entwickelte eine universelle algorithmische Programmiersprache. Während des Zweiten Weltkrieges entstand die Rechenanlage „Z4“, gedacht als Prototyp für eine Serienfertigung. Doch am 21. Dezember 1943 traf eine Bombe Zuses Wohnhaus in der Kreuzberger Methfesselstraße und zerstörte alle Maschinen. Ein Rückschlag, den der Ingenieur nie mehr ganz aufholen sollte.

Die amerikanischen Forscher Howard Aiken, John Mauchly oder John Eckert und die aufstrebende Computerindustrie des Silicon Valley überrundeten Zuse bald: Bereits 1944 spuckte deren erste Rechenmaschine amerikanischer Fertigung Ergebnisse aus: „MARK I“, ein Gigant von 35 Tonnen Gewicht.

Zuse selbst gründete erst 1949 im Hessischen Neunkirchen seine „Zuse KG“, 1957 verlegte er den Betrieb nach Bad Hersfeld. Der heutige Aktendeckel-Hersteller „Leitz“ bestellte die „Z5“, für Zuse ein Megaauftrag von 300.000 Mark. Weitere, programmierbare Rechner folgten, so die Modelle „Z11“, „Z22“, Z23“ bis Z64“ oder der automatische Zeichentisch „Graphomat Z64“. Die Erfindung der Elektrodenröhre oder des Transistors machten die Geräte kleiner und schneller. Doch außer des Grundprinzips trug Zuse nichts Bahnbrechendes mehr zur Weiterentwicklung der Computer bei.

„Ich bin zu faul zum Rechnen“, soll der junge Ingenieur einst bekannt haben. Diese Trägheit ließ ihn ein Leben lang unermüdlich aktiv sein. Als „Workaholic“ beschreibt Sohn Horst Zuse heute seinen Vater, der am Frühstückstisch lieber über das Innenleben seiner rechnenden Ziehkinder nachdachte, als wenigstens eine halbe Stunde Privatmensch zu sein. Verweigerte irgendwo in Deutschland eine Maschine den Dienst, wurde selbst der Wochendausflug zur Reparaturfahrt: „Die ganze Familie in den VW Käfer, und ab ging’s“, erinnert sich Horst Zuse heute.

Das Unternehmen seines Vaters geriet in Schwierigkeiten, Kreditprobleme ab 1964 führten drei Jahre später zur Übernahme durch Siemens. Der Schlagkraft der Forschungsabteilungen von IBM oder den Programmierern Bill Gates’ konnte der Hersfelder Tüftler nichts Wirksames entgegensetzen. Der Amerikaner Howard Aiken, der im Gegensatz zu Zuse ein funktionierendes Gerät vorweisen konnte, suchte ihm zeitweilig gar den Ruf des Erfinders streitig zu machen. Doch Zuse recherchierte, ließ ehemalige Besucher seiner Maschinen das Gesehene dokumentieren. In einem Brief an Zuse gab 1962 Aiken dann zu, nur Zweiter gewesen zu sein. Doch erst auf der Weltmathematikerkonferenz 1998 in Paderborn wurde Zuse für seine maßgebliche Leistungen auf dem Gebiet der Computertechnik geehrt.