Handwerkerszenen aus Zentralindien

■ Habib Tanvir, der Neostro der indischen Theaters, findet seine Ensembles auf der Straße. Jetzt ist er mit Shakespeares „Sommernachtstraum“ in Bremen zu Gast

Auf der Straße entdeckte der italienische Regisseur Federico Fellini das Personal für seine oft jahrmarktsbudenhaften Filmopern. Auch auf der Straße oder in ländlichen Theatergruppen findet der indische Regisseur, Lyriker und Schauspieler Habib Tanvir seine AkteurInnen – kastenübergreifend! Der von Ruhestandsbedürfnissen weit entfernte Nestor des indischen Theaters spürt in Zentralindien den Nachwuchs für sein Naya Theatre in Bhopal auf. Mit einer 30-köpfigen Gruppe ist er jetzt beim Festival „Shakespeare aus Asien“ der Shakespeare Company zu Gast.

Der 76-jährige Habib Tanvir arbeitet mit SchauspielerInnen, TänzerInnen, SängerInnen und MusikerInnen, die oft weder lesen noch schreiben können. Die sonst im Theater üblichen Leseproben zu Anfang der Einstudieurng entfallen. Trotzdem inszeniert Tanvir Stücke von Brecht, Molière oder Shakespeares „Sommernachtstraum“. Durch Erzählungen und freies Improvisieren entsteht ein Stück. Der Zugang ist direkt, ursprünglich, naiv. Und der „Sommernachtstraum“ ist für ein tribal theatre oder so genanntes Volkstheater des vielfach mit Preisen ausgezeichneten Regisseurs eine dankbare Vorlage: Die zwei durch den Wald irrenden Liebespaare sind gestrichen, die Inszenierung beschränkt sich auf die Waldgeister und -feen sowie auf die wunderbaren Handwerker mit ihrem Theater im Theater.

In den Städten Indiens sind Aufführungen mit europäischen Gepflogenheiten vergleichbar – zwei Stunden, und dann wollen die Leute ihren Bus erreichen, sagt Tanvir. Auf dem Land ticken die Uhren anders. Dort muss das Naya Theatre gleich drei Stücke im Programm haben, denn es wird die Nacht durch gespielt. Wenn das Publikum weite Wege zurücklegt, will es für den Aufwand auch etwas sehen. Nicht selten ertönt erst morgens um 6.30 Uhr der Schlussapplaus.

Gut zwei Stunden dauert der „Sommernachtstraum“, den das Ensemble in europäischer Erstaufführung in Bremen zeigt. Bunt kostümiert treten die AktuerInnen auf, sprechen Hindi und Dialekte, singen und tanzen. Man versteht nichts und doch teilweise alles. „Jedes Wort“, betont Tanvir, „ist von Shakespeare.“ Doch mit den oft und teils kehlig-hoch singenden Handwerkern und Feen, zu denen sich der Regisseur zweimal selbst gesellt, hat er die Komödie in eine Art Musiktheater verwandelt, das von einer fünfköpfigen Band begleitet wird.

Gemessen an westlichem Schauspiel, das jede psychologische Nuance auslotet, wirkt das Geschehen oft laienhaft. Aber die Musikalität der Aufführung und der sprühende Charme einzelner AkteurInnen sorgen für Kurzweil. Vor allem die Handwerker machen mit ihren kleinen Bosheiten und großen Eitelkeiten einen Besuch dieser am Ende mit viel Beifall gefeierten Inszenierung zu einem denkwürdigen Erlebnis. Christoph Köster

Aufführungen heute, Freitag, und Samstag jeweils um 19.30 Uhr im Theater am Leibnizplatz.