420 Minuten Mitterrand

Zwei Jahrzehnte nach der Linkswende in Frankreich geht es in den Medien immer noch mit schönster Ausschließlichkeit um den ehemaligen Staatspräsidenten. Doch die Linke feiert längst nicht mehr mit

aus Paris DOROTHEA HAHN

Zwanzig Jahre nach seinem Amtsantritt als „erster linker Präsident der V. Republik“ und fünf Jahre nach seinem Tod ist François Mitterrand omnipräsent. In diesen Tagen überbieten sich die Medien mit großem Programm: Offizieller Anlass ist der Jahrestag der Linkswende im Land; tatsächlich geht es um – Mitterrand.

Als „Medienereignis“ kündigte der staatliche Sender France 2 die am Donnerstag begonnene Ausstrahlung von sieben (sic!) Stunden Interview mit dem früheren Staatspräsidenten an. Die Gespräche, die der Journalist Jean-Pierre Elkabbach 1993 führte, lagen bisher im Safe: Mitterrand hatte verfügt, dass sie erst fünf Jahre nach seinem Amtsende veröffentlicht werden, „also nach meinem Tod“.

Dabei sind die Gespräche keinesfalls explosiv. Sie zeigen einen Präsidenten, bereits von Alter und Krankheit gezeichnet, der, am Ende seiner zweiten Amtszeit, über Verschiedenes spricht: am wenigsten über aktuelle Politik, am ausführlichsten über Bücher. Tatsächlich sind derart „menschliche“ Details unüberhörbar: „O. k.“, sagt da eine Frauenstimme im Hintergrund. „Warum ‚o. k.‘?“, fragt der Präsident mit ärgerlicher Miene, „das sagen Sie jetzt schon zum wiederholten Mal.“ Und die Stimme gibt umgehend klein bei: „D’accord, Monsieur le Président, d’accord.“ Als „menschliches“ Detail ist vermutlich auch Mitterrands Reaktion auf seine Vergangenheit im Vichy-Régime zu werten: „Darüber habe ich schon 35 Mal gesprochen“, fährt er den Interviewer an, „das reicht.“

Wem aber soll das nutzen? Jeder, der seinen Mitterrand intensiv studiert hat, darunter mehrere Generationen von hohen Beamten und Politikern aus dem Stall der Sozialistischen Partei (PS), die während seiner 14 Jahre im Elysée-Palast Karriere gemacht haben, wissen, dass „Monsieur le Président“ kein Englisch in seiner Umgebung ertrug. Und sie kennen seine Anstrengungen, das Kollaborateursregime von Vichy aus seiner eigenen Vita von Vichy zu verdrängen. Für diejenigen aber, die nicht zum Kreis der Mitterrand-Höflinge gehören, gibt es keine Veranlassung, die Gespräche mit dem Verstorbenen zu verfolgen.

Anders geht der deutsch-französische Sender „Arte“ mit Mitterrand um. Der Themenabend (Sendetermin: 9. Mai) lässt die engsten Mitarbeiter aus den Anfangsjahren im Elysée-Palast zu Wort kommen. Alle Interviewten sind Männer, alle verharren bis heute in der Haltung von Bewunderung und alle sind über ihre Nähe zu Mitterrand selbst an die Spitze gelangt. Neue politische oder historische Erkenntnisse über die Ära Mitterrand vermittelt auch Arte nicht. Wohl aber Einblicke, wie Mitterrand alle Fäden der Macht in der Hand hielt. Bei so viel Personenkult kommt keine kritische Würdung der Person und der Politik Mitterrands zustande. Weder im Fernsehen noch bei den anderen Festakten zum 20. Jahrestag des linken Machtwechsels in Paris, wozu unter anderem ein Fest auf der Bastille – wie damals! – sowie die Verleihung des „Mitterrand-Preises“ gehört.

So viel Positives für den in Frankreich heftig umstrittenen Mitterrand kann nicht überraschen. Denn die Kritiker, ganz besonders die französische Linke, die ihn seinerzeit an die Macht brachte, feiern gar nicht mit. Die Festvorbereitungen lagen sämtlich in der Hand des „Institut François Mitterrand“, wo der engste Kreis seiner Höflinge um seine Tochter Mazarine das „Erbe“ verwaltet. Die PS und die parteinahe „SOS Racisme“ schickten lediglich einen Scheck.

Einziger Misston bei so viel Jubel ist das Buch eines Generals, der im Algerienkrieg Oppositionelle folterte und mordete. Paul Aussaresses schreibt, er habe stets im Auftrag und in Absprache mit dem Justizminister in Paris gehandelt. Der hieß damals François Mitterrand.