Das erhabene Ideal der besseren Idee

In der „Jüdischen Innovationsgesellschaft“ treffen sich 150 Berliner sowjetischer Herkunft und erfinden, was das Zeug hält: handliche Geräte zur Ozonentwicklung, begrünte Lärmschutzwände für Autobahnen, Slalompisten für Hobbyräume. Die Stellen der Wissenschaftler bezahlt das Arbeitsamt

Die Wissenschaftler sind zu alt für die neuen Jobs in den Großraumbüros . . .. . . wo keiner das geballte sowjetische Fachwissen zu brauchen scheint

von KIRSTEN KÜPPERS

Sie sitzen in dem kleinen Büro und machen ernste Gesichter. Immer wieder schiebt sich ein weiterer älterer Herr mit einem Stuhl herein. Dabei ist der Raum längst voll mit kompetenten Wissenschaftlern.

Mark Glibitzky zum Beispiel, der Professor mit der großen, eckigen Brille auf dem Sessel gegenüber. Er hat schon an der russischen Raumstation Mir mitgebaut und gerade ein handliches Gerät zur Ozonherstellung entwickelt. Oder der Moskauer Hubschrauberingenieur im karierten Hemd auf dem Sofa, der jetzt einen begrünten Lärmschutzwall für Autobahnen entworfen hat. Täglich konstruiert er vier neue Gegenstände, die das komplexe Leben moderner Gesellschaften leichter machen sollen. Oder der Professor für Industrieelektronik. Allein 200 wissenschaftliche Patente laufen auf den Namen des stillen Herrn im schwarzen Anzug in der Ecke.

Sie und all die anderen Männer sitzen jetzt hier gedrängt zusammen in dem engen Zimmer im Haus der Jüdischen Gemeinde in Charlottenburg. Weil sie zu alt sind für die neuen Jobs in den deutschen Großraumbüros, wo keiner das geballte Fachwissen aus der ehemaligen Sowjetunion zu brauchen scheint. Und weil diese hoch qualifizierten russischen und ukrainischen Biologen, Mediziner und Elektrotechniker nun bei der Presse Aufmerksamkeit erregen wollen für ihre große Leidenschaft: das Erfinden.

Vor zwei Jahren hat sich ihre „Bundesweite Jüdische Innovationsgesellschaft e.V.“ gegründet. Inzwischen hat der Erfinderverein 150 Berliner Mitglieder. In ganz Deutschland kommen noch einmal 40 Niederlassungen mit etwa 500 Mitwirkenden dazu. Das Etikett „jüdisch“ trägt der Verein, weil der Glaube das Verbindende war unter den acht Gründungsmitgliedern mit diversen Nationalitäten und verschiedenen Berufen. Die meisten von ihnen waren Kontingentflüchtlinge aus der ehemaligen Sowjetunion, deren Frauen irgendwann einmal entschieden hatten, dass es besser für die Kinder sei, wenn sie im Westen aufwüchsen. Jetzt nutzt der Verein die Vorteile einer kostenlosen Wohnung in einem Berliner Mietshaus der Jüdischen Gemeinde, auch wenn inzwischen viele Nichtjuden Teil der Innovationsgesellschaft sind. Immer noch unterhalten sich die meisten Mitglieder in russischer Sprache. „Aber wir wollen offen sein für alle Nationalitäten und Glaubensrichtungen“, sagt Semjon Golodny, ein kräftiger Mann aus der ukrainischen Hafenstadt Odessa, der jetzt als stellvertretender Vorsitzender des Vereins im grauen Anzug hinterm Schreibtisch sitzt. Er wirkt sehr selbstsicher, sein Handy klingelt ständig.

Vorher hatte Golodny einen noch durch die Räumlichkeiten geführt. Vorbei am Flur mit den unzähligen bunten Schautafeln. Beklebt mit kleinen Bildchen und bemalt mit farbiger Schönschrift, versprachen sie die Lösung des Berliner Parkplatzproblems, erklärten die sich selbst vernichtende Einwegspritze, eine Multiturbinen-Windmaschine, eine Slalompiste für den Hobbyraum, eine halbautomatische Dosierwaage, eine anpassungsfähige Solaranlage oder eine neuartige Bauweise für superleichte Flugzeuge. Kein Mensch kann so schnell derart viele moderne Wunder begreifen, aber der telefonierende Golodny hatte einen schon wieder weiter getrieben: In die vollgeräumte Werkstatt, wo drei Männer an verschiedenen großen Propellern schraubten. In den kahlen Schulungsraum, wo eine freundliche Frau dicke Bücher studierte. Und in die vielen Zimmer, wo konzentrierte Menschen gebeugt über unzählige Computerbildschirme saßen.

Viele Preise hat der Verein mit seinen Innovationen auf Erfindermessen schon gewonnen, hatte Golodny erklärt. Gerade sei man wieder mit vier Medaillen von der Erfindermesse aus Genf zurückgekehrt. Alle Erfindungen müssen katalogisiert, aus dem Russischen ins Deutsche und Englische übersetzt und für die Vermarktung vorbereitet werden. Dazu käme noch die Verwaltung der vielen Mitglieder, eine Menge Arbeit, hatte Golodny mit einer schwungvollen Handbewegung gleichsam vor einem ausgebreitet.

Derzeit sind damit täglich 40 Erfinder vollzeit in den Geschäftsräumen der Innovationsgesellschaft beschäftigt, zwanzig Leute arbeiten als Teilzeitkräfte hier. Sie melden Patente an, bauen Prototypen, beschäftigen sich mit dem Marketing der Erfindungen und suchen Partnerfirmen, die diese produzieren sollen. Finanziert werden die Stellen des Erfindervereins vom Arbeitsamt oder aus ABM-Geldern. Außerdem bewirbt sich die jüdische Innovationsgesellschaft bei diversen Förderprogrammen um zusätzliche Mittel. So möchte der Verein nicht nur ein antirassistisches Lehr-, Forschungs- und Beratungszentrum gründen, sondern auch noch eine Erfinderschule für Jugendliche.

Den bedächtigen älteren Herren, die sich für die Presse in dem schmalen Büro versammelt haben, sieht man es indes an: Es geht hier weniger um finanzielle Überlebenstechniken, auch wenn der Erfinderverein immer noch besser ist als das deutsche Sozialamt. Nein, ihnen geht es hier um etwas sehr viel Größeres: das erhabene Ideal der besseren Idee.

Und dass der jüdische Erfinderverein jetzt schon mit einer Biotechnologiefirma in Kleinmachnow zusammenarbeitet, ein Technologiezentrum bei Koblenz plant und längst mit diversen technischen Universitäten kooperiert, gehört dabei nur zum professionellen Geschäft. Allerdings „ist die deutsche Industrie sehr konservativ“, schimpft Golodny. „Die Firmen stehen den meisten Projekten freier Erfinder eher skeptisch gegenüber.“ So bleibt das Ausdenken von Erdgasverwertungsanlagen, Labyrinthpumpen und pneumatischen Vibratoren immer noch eine kaum Gewinn bringende Tätigkeit für den einzelnen Erfinder. Die Patente sind teuer. Und die meisten Ehefrauen der Vereinsmitglieder schimpfen, wenn das Haushaltsgeld für die Prototypen draufgeht, erzählt der grauhaarige Hubschrauberingenieur.

Aber man sei eben getrieben von der Notwendigkeit, die Probleme des Alltags zu lösen. Die Talente dürften nicht vergeudet werden. Und inspirieren lasse man sich dabei wie eh und je „von schönen Frauen und Wodka“. So redet er sich bescheiden in eine Aufgabe hinein. Die anderen nicken lächelnd. Die Männer hier im Raum sind Wissenschaftler, keine PR-Agenten. Der Stolz auf ihre Arbeit zeigt sich eher versteckt: Der Vorsitzende Golodny telefoniert wieder, Professor Bulatov reicht schweigend eine Visitenkarte herüber, der Übersetzer breitet nebenbei auf dem Couchtisch die Urkunden von der Erfindermesse aus, und Professor Glibitzky hat hinten seinen Ozongenerator auf ein schönes Tuch gestellt.