„Nicht mit Mördern identifizieren“

Halil Berktay lehrt als Professor für Geschichte an der Sabanci-Universität in Istanbul

taz: Sie haben auf der Konferenz in Mülheim gesagt, Sie seien nicht schuld an den Massakern, Sie seien es nicht gewesen. Was meinten Sie damit?

Halil Berktay: Man muss unterscheiden zwischen einer Verantwortlichkeit des türkischen Staates und der der türkischen Gesellschaft. Ich meine, dass die türkische Gesellschaft eine moralische Verantwortung hat. Ich selber fühle sie. Aber als ich gesagt habe, bezüglich der Ereignisse 1915, ich war es nicht, habe ich Folgendes gemeint: Es gibt heute eine Reihe von Leuten, die sich damit identifizieren, allein, weil sie Türken sind, und das deshalb rechtfertigen wollen. Aber es gibt auch in der heutigen türkischen Gesellschaft Mörder – identifizieren wir uns vielleicht mit denen, nur weil sie Türken sind? Ich möchte, dass die Leute das auch für 1915 so sehen, dass sie auf Distanz gehen zu den Ereignissen von 1915. Aber der heutige türkische Staat hat die Ereignisse von 1915 nicht gemacht. Schon die Kemalisten von 1922 dachten anders, die wollten das Erbe von 1915 nicht. Der Anspruch, dass die heutige türkische Republik für die damaligen Ereignisse juristisch verantwortlich sein soll, ist für mich sehr problematisch.

Wenn die Türkei den Völkermord an den Armeniern als solchen anerkennen würde, könnten eventuell auch Schadenersatzforderungen an sie gestellt werden. Wie stehen Sie dazu?

Der türkischen Gesellschaft zu sagen, dass sie für 1915 Reparationszahlungen leisten soll, im Jahr 2001, ich glaube, das wäre ein großes Problem. Was das für politische, ideologische oder materielle Folgen haben könnte, will ich mir lieber gar nicht vorstellen. Ich befürchte sehr, dass das heißen könnte, dass die Türkei sich völlig von der Außenwelt abschottet, in eine fürchterliche Isolation gerät und Verhältnisse wie im Iran eintreten. Denn in der türkischen Gesellschaft gibt es einen sehr ausgeprägten Nationalismus, einen starken Fremdenhass und starke Isolierungstendenzen. Solch ein Risiko sollte man nicht eingehen.

INTERVIEW: ANTJE BAUER