Panik bei Serbiens Sozialisten

Nach der Verhaftung von Milošević dämmert seinen Getreuen, dass das dicke Ende für sie erst noch kommt. Doch eine Auslieferung nach Den Haag steht nicht auf der Tagesordnung. Nur vereinzelt wird der Ruf nach einer Aufarbeitung laut

aus Belgrad ANDREJ IVANJI

„Nur schön langsam. Angefangen haben wir von der Spitze, und wir werden uns nicht aufhalten lassen“, erklärte seelenruhig Serbiens Innenminister Dusan Mihajlović nach der Festnahme von Slobodan Milošević auf die Frage, wann weitere Verhaftungen erfolgen würden.

In den Reihen der Sozialistischen Partei Serbiens (SPS), dessen Vorsitzender Milošević immer noch ist, und der Jugoslawischen Linken (JUL) der Gattin des Exdiktators Mira Marković herrscht Panik. Ein Jahrzehnt lang wurde die Parteitreue nach dem Prinzip der Vetternwirtschaft mit Häusern, Wohnungen und teuren Autos bezahlt. Höhere Funktionäre durften sich Fabriken, Unternehmen und exklusive Grundstücke aneignen. Kriminelle Geschäfte wurden von der Polizei sogar gefördert. Geschäftskonkurrenz wurde kurzerhand liquidiert.

Erst jetzt, wo der große Boss und Herrscher hinter Schloss und Riegel sitzt, wird seiner Gefolgschaft bewusst, dass sie sich für all die Straftaten wird verantworten müssen. Den Unantastbaren drohen nun Jahrzehnte lange Haftstrafen, ihren Familien nach dem Luxus die Armut. Und wenn erst der Oberchef auspackt, zum Beispiel um die Freiheit für seine Familie auszuhandeln, dann sind alle dran. Warum sei nur er und niemand anderer verhaftet worden, war immerhin die erste Frage, die Milošević seinem Anwalt im Belgrader Zentralgefängnis stellte.

Die SPS ist die stärkste Oppositionspartei in Serbien. Bei den Bundeswahlen im vergangenen September schenkten ihr rund 30 Prozent der serbischen Wähler ihr Vertrauen. Eine genügend starke Basis, wie der Hauptausschuss der Partei meinte, um den politischen Kampf mit der nun regierenden Demokratischen Opposition Serbiens (DOS) aufzunehmen, die den Staat in einem katastrophalen Zustand vorgefunden hat und unpopuläre, schmerzhafte wirtschaftliche Reformen durchziehen muss.

Nach der Festnahme von Milošević, an den die SPS ihr Schicksal gebunden hat, heißt es nun zu retten, was noch zu retten ist. Der Partei droht die Spaltung. Gegen Milošević liegen „monströse Lügen“ vor, verkündete die SPS, und forderte, dass sich der dreimal gewählte Staatschef aus der Freiheit verteidigen darf.

„Natürlich haben wir Angst, denn im heutigen Serbien wird man zuerst verurteilt, und erst dann muss man seine Unschuld beweisen“, erklärte resigniert der hohe SPS-Funktionär Ivica Daćić. Er warf den Medien eine „Hetzjagd“ gegen die SPS vor und meinte, dass die Justiz die Aufträge der regierenden Parteien ausführe. Die JUL sprach von einem „politischen Prozess“ gegen Milošević, der im Auftrag der US-Administration nur die Serben für Kriege und Verbrechen im ehemaligen Jugoslawien verantwortlich machen soll. Die meisten Bürger Serbiens empfinden jedoch Genugtuung, dass der „Schurke“ im Knast steckt.

Allerdings wegen Verbrechen, die er in Serbien begangen hat. Das Haager Kriegsverbrechertribunal sehen die meisten Serben als politisches Instrument der USA an. Die Anklage gegen Milošević lautet auf Amtsmissbrauch und Veruntreuung mit dem Ziel der persönlichen Bereicherung, also wegen organisierten Verbrechens. Vorerst soll Milošević dem Haager Kriegsverbrechertribunal nicht ausgeliefert werden, beteuerte Justizminister Vladan Batić. Er erwarte deswegen in den nächsten Monaten keinen Druck der Staatengemeinschaft, die Verständnis für Justizreformen in Serbien zeige.

Der serbischen Regierung geht es vor allem darum, dass die Bürger wieder Vertrauen in den Rechtsstaat gewinnen. Deshalb soll Milošević zuerst wegen Straftaten der Prozess gemacht werden, für die eindeutiges Beweismaterial vorliegt. Es geht auch darum, den einstigen Volksführer als einen schlichten Gangster bloßzustellen, sein Charisma ein für alle Mal auszulöschen.

Leise und selten sind noch die Stimmen in Serbien, die von einer Vergangenheitsbewältigung reden. „Serbien wird nicht genesen, wenn Milošević nur wegen Diebstahls der Prozess gemacht wird, egal wie groß er war. Der Prozess gegen Milošević muss in einen Prozess gegen die kranke Idee von Großserbien, gegen serbischen Nationalismus verwandelt werden“, erklärte Dragan Veselinov, Vorsitzender der Koalition für die Vojvodina.