Planet Augustin

■ Seit vier Jahren erzählt Gerhard Augustin im Offenen Kanal von der Welt der Popmusik. Früher war er Manager von Ike und Tina Turner. Noch früher hat er den Beat-Club moderiert, aber das ist ein schwieriges Thema. Ein Porträt

Manchmal schimpft er wie ein Rohrspatz. Dann geht das Temperament mit ihm durch und Gerhard Augustin hält eine Zeitung in die Kamera, in der mal wieder die Unwahrheit steht, und sagt: „Ich kenne mich aus!“ Und ruft: „Ich weiß doch alle Interna!“ Und warnt: „Ich könnte hier Schoten erzählen!“ Und wettert! Gegen Radio Bremen im Allgemeinen und gegen Radio Bremen im Besonderen. An solchen Tagen ist Gerhard Augustin ein Betrogener.

Jede Woche Dienstag um 17.05 Uhr ist er eine feste Größe im Offenen Kanal Bremen. „Gerhard Augustin präsentiert Gerhard Augustin“ oder auch „GA/GA“ steht dann auf dem Fernseh-Produktionsplan. Der fast 60-Jährige wettert und schimpft und redet und spricht Bürgermeister Henning Scherf dabei mit Henning an. Doch: Ob der Henning überhaupt zuguckt? Egal: „Ich mache etwas Wahnsinniges, und manchmal klopft mir im Supermarkt jemand anerkennend auf die Schulter“, sagt er. An solchen Tagen ist er ein Zufriedener.

Zwei Herzinfarkte

Immer wieder dienstags präsentiert Gerhard Augustin sich selbst und damit Einblicke in die große weite Welt der Popmusik. Wenn er sich nicht gerade in Rage redet, dann zeigt er Filme, Clips und Bilder aus seinem riesigen Archiv. Denn Gerhard Augustin hat viel erlebt und hatte immer eine Filmkamera dabei. Eigentlich hat er viel mehr erlebt und überlebt als unsereiner. Zwei Herzinfarkte haben dem ehemaligen Angestellten der United Artists vor ein paar Jahren beinahe das eigene Heaven's Gate beschert und ihn vor die Wahl gestellt: Schluss jetzt oder nicht? Seine Entscheidung und die Intensivmedizin brachten ihn wieder ins Gleis, sagt er. Gerhard Augustin hörte mit allem auf, wovon man Herzinfarkte bekommt. Er ist also ein Überlebender.

Nun ist er zurück in Bremen, seiner Heimatstadt – wenn ein Weltenbummler wie er überhaupt eine Heimat hat. Und er erzählt in seiner Fernsehsendung und in einer anschließenden Radioshow seine Geschichten aus der Welt von Sex and Drugs and Rock'n'Roll. Seit vier Jahren macht er das. Und doch ist es, als hätte das noch kaum jemand mitbekommen. Man möchte, weil sich so etwas in Bremen unendlich langsam rumspricht, aufs Rathausdach klettern und laut von dort rufen: Leute, guckt den Offenen Kanal, denn der Augustin ist wieder da. Irgendwie ist er nämlich ein Geschnittener.

50 Minuten ohne RB

Nun sitzt er da im Studio des Offenen Kanal in Bremen-Findorff. Und er erzählt, den geliebten Hund Ankor zu Füßen, seine Geschichte. „Ja“, sagt Gerhard Augustin auf die Frage, ob es möglich ist, mit ihm eine Stunde lang zu reden und dabei 50 Minuten nicht auf Radio Bremen zu sprechen zu kommen. „Ja, sicher ist das möglich.“ Ein cholerischer Mensch würde jetzt trotzdem auf dieses große alte Thema zu sprechen kommen. Doch Gerhard Augustin lächelt. Ja, er lächelt, und das ist deshalb bemerkenswert, weil er ein Typ ist, dem man besser nicht krumm kommt und den man nicht zum Feind haben sollte. So einen Eindruck macht er. Doch jetzt lächelt Gerhard Augustin und fragt: „Wo wollen wir anfangen? Ich bin ja ein Stück Zeitgeschichte.“ Und dann erzählt er zur Überraschung eines Gelegenheitssehers von „GA/GA“ in aller Ruhe.

Ike gehört die Hälfte

Demnächst zum Beispiel muss Augustin nach Los Angeles, um vor Gericht auszusagen. Ike und Tina Turner oder besser: ihre Manager und Produzenten streiten sich um die Rechte an „Nutbush City Limits“ und somit um viel Geld. Mehrere Millionen Dollar hat der größte Erfolg der bekanntesten „Rosenkrieger“ des Pop-Business eingespielt, und Ike Turner will die Hälfte davon. „Die steht ihm auch zu, ich war ja dabei“, sagt Augustin. Von Ike Turner hat Gerhard – kurz Gerd – Augustin nämlich alles gelernt, doch diese Schule hätte auch sein Leben ruinieren können.

Tina Turner, die heute die Großverdienerin im US-Konzertleben ist, hat ihre Version der Leidensgeschichte in einer Autobiographie dargestellt, die mit Angela Bassett verfilmt wurde. Auch Gerhard Augustin hat ein Buch über Tina Turner geschrieben, doch den Film hat er nach wenigen Minuten verlassen. „Viel zu einseitig“, sagt der ehemalige Manager, der sechs LPs von Ike und Tina produziert hat und noch heute mit Ike Turner befreundet ist.

Mann für Schwierige

Wie gerät ein junger Bremer, der im Top Ten Club Platten aufgelegt hatte und somit nach eigener Darstellung der erste DJ Deutschlands war, an Ike und Tina Turner und wird ihr Produzent? Die Antwort ist die Augustin'sche Variante des Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Märchens, das in der Wirklichkeit nicht nur aufwärts, sondern auch abwärts führt. Irgendwann in seinem ziemlich rastlosen Leben mit Umzügen alle paar Jahre und vier Reisen um die Welt wurde er „Director of Creative Services“ bei United Artists Records. Und der Augustin wurde zum Mann für die schwierigen Typen. Für Typen wie Ike Turner.

Wie ein Tyrann hat der Musiker über seinen Hofstaat geherrscht. Es gab Kokain in rauhen Mengen und orgienhafte „Surprise-Parties“, die Ike Turner manchmal als Spanner beobachtete und filmte, und wenn jemand nicht spurte, konnte er ihn damit erpressen. Ike Turner war einer der ersten schwarzen Popmusiker, die es in den USA der Endsechziger ziemlich weit gebracht haben. Weißen hat dieser extrem paranoide Mensch, sagt Augustin, zutiefst misstraut. „Nur ich als Deutscher war für ihn ein unbeschriebenes Blatt.“ So kam er in den Hofstaat und – eines Tages auch wieder hinaus. „Ich wollte das nicht mehr mit ansehen, dieses Leben hat die Leute kaputt gemacht.“

Entdecker von Marius

Neben den Platten „Feel good“ oder „I like Ike“ von Ike und Tina Turner oder von Ike allein ist Gerhard Augustins Name nach seinen Angaben mit etwa 300 Schallplatten verbunden. Doch nicht alle waren so dankbar wie King Ike. Der hat in seiner Autobiographie Gerd Augustin für den Erfolg von Tina Turner verantwortlich gemacht. Unter den vielen Augustin'schen Platten ist auch eine Single namens „Gebt Bayern zurück an die Bayern“, eine Cover-Version von Paul McCartneys „Give Ireland back to the Irish“. Der Künstler: Marius Müller-Westernhagen, der mit seinem Erstling heute nicht mehr viel zu tun haben will. „Ich habe ihn entdeckt“, sagt Gerhard Augustin. Die Leute können einem viel erzählen. Aber das glauben wir mal: Gerhard Augustin hat Marius Müller-Westernhagen entdeckt oder dazu beigetragen, dass aus der seinerzeit bestbezahlten Kinder- und Jugendstimme der Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten Deutschlands ein Popstar wird. Ganz alleine kriegt's halt auch so einer nicht hin.

Oder – inzwischen in München: Da hatte er für die United Artists Deutschrocker wie Popol Vuh, Amon Düül II und Can unter Vertrag. Popol Vuh kennt hierzulande kaum noch einer, obwohl sie die Musik für die Werner-Herzog-Filme gemacht haben. Anders ist's mit Kraftwerk. „Die haben die Amerikaner wieder gestrichen, denn ich hatte schon drei Gruppen, die nicht wirklich Geld einbrachten“, erinnert sich Augustin. Er hätte weiter auf Kraftwerk – „Wir fahrn fahrn fahrn auf der Autobahn“ – gesetzt. Selbstverständlich! Aber es tanzt halt nicht alles nach einer Spürnase wie ihm. „Ich habe das Timing nicht immer geschafft.“ Will sagen: Er sieht sich als ein Promoter, der reihenweise Leute entdeckt oder ihnen – wie Stefan „Trio“ Remmler – auf dem Karriereweg einen entscheidenden Schubs gegeben hat. Das Geld haben dann andere – oder niemand – verdient. Er hatte schließlich mit Diven zu tun.

Wild auf die 70er

Vor fünf Jahren hat er eine Comeback-Tournee von Amon Düül II nach Japan und Großbritannien organisiert. Doch dann gab es, wie es so heißt, musikalische Differenzen, und der Augustin war 260.000 Mark los. Immerhin hat er Rechte an einigen Platten. „Es gibt niemanden auf der Welt, der mehr Material über die deutsche Krautrockszene hat als ich.“ Das lohnt sich, denn gerade JapanerInnen sollen ganz wild sein auf den Deutschrock der 70er Jahre.

So hat auch ein Gerhard Augustin sein Auskommen. Mit Hund und drei Katzen bewohnt der Mann mit sauber gekämmtem Mittelscheitel ein Haus, manche sagen, eine Villa mit riesigem Garten in Bremen-Nord. „Ich lebe da wie auf einem anderen Planeten“, sagt er. Seit er wieder in Bremen ist, ist er noch nicht einmal ausgegangen. Die Fahrten zum Offenen Kanal oder die Gänge in den Supermarkt, wo er manchmal erkannt wird, zählen da natürlich nicht mit. Jetzt fragt sich der Planetarier manchmal, was er hier noch soll. Er überlegt, doch noch einmal in die USA umzuziehen. Denn bislang hat ihm Bremen noch nicht die Dankbarkeit erwiesen, die er zu verdienen glaubt. Gerhard Augustin ist nämlich der Miterfinder des legendären Beat Club, der ersten Pop-Sendung des Deutschen Fernsehen und dem einzigen internationalen Export-Artikel Radio Bremens.

Sie starben zu früh

Bevor wir nun doch zu diesem Thema kommen, über das sich Gerhard Augustin so aufregen kann, machen wir lieber noch einen anderen Schlenker. Denn unser Mann will Museumsgründer werden. Das Beat Museum Bremen oder das Bremer Beat Museum schwebt ihm vor. Einzigartige Schätze, Archivalien, Memorabilien und vielleicht auch Reliquien sind in seinem Besitz. Ungezählte Platten, ungezählte Meter Film auf Super 8 bis Video, Plakate von, mit und über MusikerInnen wie Ike Turner und die geschiedene Tina, Jimi Hendrix, die Rolling Stones, Canned Heat und wie sie alle heißen. Oder geheißen haben. Denn in diesem Business starb man früh. All seine Schätze würde Gerhard Augustin seiner Heimatstadt Bremen viel lieber übereignen als sie bei Sotheby's zu verhökern. Er verlangt nicht einmal Geld als Gegenleistung. Es müsste nur ein einigermaßen hochrangiger oder am besten kompetenter Regierungsvertreter auf ihn zukommen, ihn bitten, ihm vielleicht ein bisschen schmeicheln, wie es sich im Umgang mit Stiftern gehört. „Ich will nicht zehn Millionen Mark haben, sondern ich schenke der Stadt etwas, wofür sie zehn Millionen Mark ausgeben müsste.“

Seltene Blüten

Dieser Gerhard Augustin ist vielleicht ein bisschen schrullig oder kantig, wie er selbst sagt. Aber bemitleidenswert, wie manche sagen, ist er nicht. Dass einer wie er beim Offenen Kanal eine Sendung macht, ist nur für Naserümpfer ein Abstieg. Für Augustin schließt sich ein Kreis zu den 60er Jahren, als er in San Francisco in der Public-TV-Station KQED gearbeitet hat. „Auch der Offene Kanal ist Public TV“, sagt er. Wer den Offenen Kanal ein bisschen kennt und dort schon Blüten entdeckt hat, die weder auf öffentlich-rechtlichen noch auf den enttäuschend mutlosen privaten Sendern zu finden sind, versteht das.

Bei Radio Bremen würden Typen wie er nicht reinrutschen, aber mit dem Sender hat er sich sowieso überworfen. Gerhard Augustin fühlt sich nämlich beklaut und um seine Rechte betrogen. Nach offizieler Darstellung ist der kürzlich verstorbene Mike Leckebusch der einzige Beat-Club-Erfinder, und darüber kann sich der Moderator der Anfangszeit, der, so ist es bezeugt, die Gruppe Man seinerzeit mit Kokain vertraut gemacht und zu einem unvergesslichen Auftritt im Beat-Club verführt hat, so schwarz ärgern, dass man Deckung suchen möchte. Dem zurückgekehrten Weltenbummler geht es nicht um Geld, sondern um Ruhm und Ehre, die ihm seiner Auffassung nach gebührt. Aber wir wollten ja vor allem über etwas anderes reden.

Christoph Köster

Am Freitag, 30. März, also morgen, ist großer Gerhard-Augustin-Tag im Offenen Kanal. Von 17.05 bis 21 Uhr zeigt er vier Stunden lang sein Opus magnum. Sein Geschenk an seine treuesten Zuseher ist eine musikalische Weltreise, eine auf ein Großbild und zwei kleine Bilder geschnittene Collage aus 200 Filmen: „Ich zeige mein Leben“, sagt er. Und das ist so anstrengend wie spannend.

Gerhard Augustin hat Biographien über Tina Turner, Jimi Hendrix und Udo Lindenberg verfasst.Die Fotos sind Augustins Rock-Krimi „Pyramidon“ entnommen, rechts oben lebt der Meister höchstselbst.