Sie meinte die Mutter und traf den Minister

Bettina Röhl, Tochter von Ulrike Meinhof, recherchierte über die Frankfurter Spontiszene und verkaufte dem „Stern“ die Fotos von dem einstigen Straßenschläger Joschka Fischer

BERLIN taz ■ Die Frau von heute rechnet mit den Gegnern ihrer Vergangenheit via Internet ab. Bettina Röhl, Tochter von Ulrike Meinhof, nimmt sich dazu Joschka Fischer vor. „Lehnen Sie sich zurück und hören Sie, was Fischer zu zeigen und zu sagen hat“, lädt ihre Homepage www.bettinaroehl.de ein. Elf Fotos zeigen den Außenminister in seiner temporären Eigenschaft als Häuserkämpfer. Fischer, mit Helm, läuft einem Polizisten entgegen, dessen Helm auf dem Boden liegt. „Der Polizist soll, wie im Wald geübt, enthelmt, entwaffnet und windelweich gehauen werden“, textet Röhl dazu. So war – legt die Seite nahe – die gesamte 68er-Generation. Bettina Röhl nimmt sich den Minister vor und meint ihre Mutter.

Vor 24 Jahren wird Ulrike Meinhof in ihrer Zelle im Hochsicherheitstrakt von Stammheim tot aufgefunden. Kein Wort hat sie ihren Zwillingsmädchen hinterlassen. Im Klappentext ihres Buches „Sag mir, wo du stehst“, bringt Röhl die nicht existente Verbindung zur Mutter auf den Satz: „Als ich sieben Jahre alt war, ging meine Mutter als Terroristin der RAF in den Untergrund und ließ mich und meine Schwester zurück.“

Seit ihrer Kindheit schlägt sich Bettina Röhl (28) mit der Haltung der Mutter herum. Dass diese den politischen Kampf der Familie vorzog. Dass diese Kaufhausbränden und der bewaffneten Befreiung von Andreas Baader Priorität einräumte. Dass diese die Mädchen nach Italien schickte, den Kontakt abbrach. So ein Kinderleben hinterlässt Fragen. Röhl sucht die Antworten bei den Protagonisten der Frankfurter Szene von 73. „Sag mir, wo du stehst“, an dieser einen Frage habe sie sich während des gesamten Interviews mit ihm entlanggehangelt, sagt Karl-Heinz Bender.

Der Mitbegründer der Gruppe „Revolutionärer Kampf“ (RK) erinnert sich an eine junge Frau, die ihn politisch wenig reizt. „Sie war kindlich, naiv, nicht fähig zur Reflexion“, sagt Bender. Er habe Röhl helfen wollen, die Militanz der RAF „historisch“ einzuordnen. Dass sich ein Teil der Bewegung – wie ihre Mutter – im bewaffneten Kampf befand, ein anderer – wie Joschka Fischer – sich für den „organisierten Widerstand der Massen zuständig fühlte“.

Hausbesetzungen, Demos gegen Fahrpreiserhöhungen sahen die Spontis aus Frankfurt als Teil einer politischen Bewegung an. Der Straßenkampf, den Röhl jetzt auf ihrer Homepage dämonisiere, habe schließlich prophylaktische Wirkung gehabt. „Wir haben mit diesen Aktionen dafür gesorgt, dass zumindest in Frankfurt nicht noch mehr Menschen der militanten RAF zugetrieben wurden“, sagt Bender. Fischer und Co. als Auffangbecken vor dem Untergrund. „Das habe ich versucht, Bettina Röhl zu erklären, aber sie hat nichts davon verstanden. Ein Jammer, bei der Mama.“ Vielleicht kann die Tochter nicht verstehen, weil der militante Schatten der Mutter ihren Horizont bis heute verdunkelt. ANNETTE ROGALLA