Alles ist nur eine Frage des Feng Shui

Eindrücke aus Hongkong zwischen Hochhausschluchten und Stadtkultur. Bis zum 2. Dezember noch besetzt das „Festival of Vision – Berlin in Hongkong“ den derzeit teuersten Bauplatz in der Mitte der Stadt und im Herzen ihres Finanzzentrums

Hongkong ist eine Art Manhatten mit schottisch anmutenden HighlandsEin üppiges Programm mit Architektur, Tanz, Theater, Musik und Mode

von PETRA WELZEL

Bei den Dollars, die in Hongkong angeblich im Überfluss kursieren, dürfte es um die Kunst eigentlich nicht schlecht stehen. Auf unserem Plan steht nämlich eine siebentägige Tour durch die Kultur und Kunstszene Hongkongs.

Jedenfalls durfte der britische Stararchitekt Norman Foster bereits den Neubau der Bank of Hongkong, der Stadt wichtigstes Devisendepot, errichten und zuletzt auch den gigantischen neuen Flughafen mit seiner riesigen Ankunftshalle, unter deren Decke ein altes Propellerflugzeug wie ein Spielzeugmobile hängt. In diesem Jahrtausend sollen hier jährlich 87 Millionen Passagiere durchgeschleust werden. 24 Millionen waren es einmal auf dem alten Stadtairport, mittlerweile sind es ca. 35 Millionen Menschen, die Hongkong im Jahr anfliegen. Dafür hat man extra eine neue Insel im Meer aufgeschüttet.

Ein Kleinbus bringt uns zum Hotel. Hongkong ist eine Art Manhattan mit schottischen Highlandausläufern. Kilometerlang streifen wir struppige Hügel und Berge, überqueren eine lange Hängebrücke, von der aus man die ersten Hochhausghettos sieht, einfach zwischen die Berge geklatscht, wo noch Platz war. Dann tauchen wir in einen Tunnel ab, um am Containerhafen wieder raufzukommen. Vor uns liegt die Skyline von Hongkong Island mit Fosters Bank. Wir biegen ab auf die Kowloon Side. Die Berge haben sich an den Horizont verflüchtigt, nun türmen sich nur noch Hochhäuser in breiten Straßenschluchten auf. 6,4 Millionen Menschen leben hier in vom Monsun teilweise ziemlich angefressenen Betonklötzen und äußerlich wetterresistenteren Glasbaukästen, sagt die Statistik.

Wer sich bisher allein auf den Weg gemacht hat, in Hongkong die Kunst- und Kulturszene oder zumindest ihre Spuren im öffentlichen Raum zu finden, hatte es schwer. Die zwischen Berge und Meer getürmten Hochhausschluchten des chinesischen Millionenmolochs schlucken nicht nur jeden Versuch von Individualität, sondern treiben in Hongkong lebende Künstler auch immer wieder in die Isolation anonymer Wohnblöcke, an deren Füßen allenfalls kleine buddhistische Altäre auffallen, die böse Geister vertreiben sollen.

Der Krankenpfleger Chu Hong Wah ist einer von etwa 1.000 Künstlern in der Stadt, der die Kunst erst während einer Fortbildung in London entdeckte und sich bis zu seiner Pensionierung einen Sonntagsmaler nannte. Heute vertritt den 60-Jährigen Hongkongs renommierte Galerie Hanart TZ. Flächendeckende Karomuster als Sinnbilder für die Hochausfronten und davor hockende Menschen, oft alt und gebückt, bringen in seinen Bildern die unterschiedlichen Welten chinesischer Traditionen und der Isolation durch die Ghettoisierung in anonymen Wohnblöcken auf den Punkt.

Bis zum 2. Dezember noch besetzt das „Festival of Vision – Berlin in Hongkong“ den derzeit teuersten Bauplatz in der Mitte Hongkongs und im Herzen ihres Finanzzentrums und bietet ein Metropolen füllendes Programm in Sachen Architektur, Kunst, Tanz, Theater, Musik und Mode. Mitorganisator ist das Goethe-Institut und das Haus der Kulturen der Welt in Berlin. Wie zuvor in Berlin, wo das Festival vom 28. Juli bis 10. September stattfand, sind nun Hongkonger Tänzer und Performancekünstler eingeladen, an den neuen Inszenierungen teilzuhaben. Nur eine Love Parade wird es in Hongkong nicht geben. Der Raverzug ist bei den chinesischen Verantwortlichen wegen des hohen Drogenkonsums in Verruf geraten. Stattdessen wird es am letzten Tag ein Aids-Benefizkonzert mit den Stars des asiatischen Pop geben, Hongkongs Antwort auf die Berliner Liebesparade

Wer am Star Ferry Pier mit der Fähre von der Kowloon-Seite der Stadt anlegt, rennt gerade auf das Tamar Festival Centre zu – benannt nach dem ehemaligen militärischen Stützpunkt hier, auf dem auch die feierliche Übergabe der vormaligen englischen Kronkolonie ans Mutterland China stattfand.

Alles ist nur eine Frage des Feng Shui, von Wind und Wasser“, erfahre ich anderntags von Raymond Lo. Raymond ist Feng-Shui-Master, und Hongkong das Herz der 6.000 Jahre alten Lehre des Feng Shui, behauptet der Meister. „Landschaften, Berge, Wälder, Wiesen, Wasser, ihre Energien beeinflussen das ganze Leben. Deshalb ist es wichtig zu wissen, wo diese Energien, die guten und die schlechten, stecken und dieses Wissen zu nutzen“, erklärt der kleine Mann im engen, karierten Jackett und strahlt dabei mit Hasenzähnen. Seit er daran glaubt, verrückt er unter anderem Stühle, Betten und Blumentöpfe wegen des Energieflusses. Das Grundprinzip ist einfach: „Die Energie, die der Wind (Feng) wegbläst, hält die Kraft des Wassers (Shui) auf.“ Hongkong sei da doppelt begünstigt. Am Monk Kok in Kowloon zum Beispiel würde sich sämtliche Energie sammeln und deshalb wäre dies ein beliebter Standort für Geschäftsleute. „Ein Saftladen bezahlt dort 200.000 Hongkong-Dollar Monatsmiete, macht aber über eine Million Gewinn.“ Ansehen tut man es den Saftläden irgenwie nicht.

Raymond überzeugt mich aber durch eine ganz andere Behauptung. Wegen seiner außerordentlich günstigen Lage seien in Hongkong vor allem Frauen sehr erfolgreich. Zumal wir seit 1984 auf der Energiestufe 7 leben, die unter anderem alles, was mit dem Mund und dem Weiblichen zu tun hat, bereichert. Das Feng Shui hat einen Kreislauf von 180 Jahren mit neun Energiestufen, die alle 20 Jahre wechseln. Bis 2004 befinden wir uns jetzt noch auf der oralen und weiblichen 7. Stufe. Raymond macht das im Übrigen daran fest, dass erst seit 1984 die Handys ihre Blüte erleben und Frauen wie Margret Thatcher, die ehemalige englische Premierministerin, und Madeleine Albright, die amerikanische Außenministerin, mit großem Erfolg das Parkett der hohen Politik betreten hätten. Bleiben mir also noch vier Jahre für den Durchbruch.

Ihre „internationale Flagge“ nennen die Hongkonger ihre aus den Fenstern flatternde Wäsche, um zu kaschieren, dass hier eigentlich zu viele Menschen auf zu wenig Raum leben. Jahrelang zum Beispiel landete der Müll der Stadt im Viktoriahafen, jetzt spuckt der ihn wieder aus: Die Wasserverschmutzung ist Hongkongs größtes Problem, Bakterienalarm wie auch dieser Tage nicht selten. Auf dem Wasser ist davon nicht viel zu sehen, als ich mit der Fähre von Kowloon nach Hongkong Island rüberschippere. Ein orangefarbener Sonnenball sinkt langsam ins Meer, das es glänzt und blinkt, als fielen ständig Goldtaler hinein.

Ich habe jetzt mein eigenes Bild von Hongkong. Zu ihm gehören auch die Menschen, die wie der weiße Mann auf Booten leben. Es sind die so genannten Tankas, die Ureinwohner dieses Meeres- und Landeszipfels, die schon immer mehr zu Wasser als auf dem Land lebten. Umschlossen von den Sozialwohnungsblocks des Stadtteils Aberdeen hausen sie auf abgewetzten Holzkähnen, ziehen Pflanzen, halten sich erbärmlich stinkende Tauben und trocknen in der Sonne Fische. Struppige Hunde wühlen sich durch Abfälle, während nur einige Meter weiter teure „Floating Restaurants“ im Hafen von Aberdeen auf die Milliardäre warten. Das muss auch so ein Punkt geballter Energien sein.

Das Programm von Berlin in Hongkong gibt es unter festivalofvision.tom.com