Kleopatra kostet 24 Pfund

Wahre Lokale (43): Vom kleinen Kairoer Kaffeehaus ins große „Windows Of The World“

Ein rothaariger Kellner serviert die Drinks. Hier bleibt derOrient draußen. Garantiert.

Ich sitze in einem Kaffeehaus. Ich könnte jetzt lügen und sagen, es hieße „Niloase“, „Palmengarten“, „Bei Mahmoud“ oder meinetwegen „Ali Baba“. Aber es heißt gar nicht. Zumindest gibt es kein Schild mit Namen drauf. Auch die Bedienung, ein bartloser Jüngling mit schwarzem Haar und blütenweißem Hemd, der mir türkischen Kaffee mit Kardamom bringt, kann sich an keinen Namen erinnern. Aber der Besitzer heiße Ashraf, das wisse er und fragt, ob er ihn holen solle. La shukran, sage ich – nein, danke. Hier in Alt-Kairo gibt es – wie überall in der ägyptischen Hauptstadt – unzählige Kaffeehäuser. Eigentlich sind es ja Teestuben, denn der Ägypter trinkt lieber Tee als Kaffee. Man erkennt ein Kaffeehaus am besten daran, dass an einer Hauswand entlang und auf dem Gehweg bis zum Bordstein (falls beides überhaupt vorhanden) Männer auf Stühlen oder Schemeln an Tischchen sitzen und reden und rauchen. Wenn es eines der besseren Sorte ist, werden die Bestellungen auf einem Messingtablett gebracht, und die Metallkartuschen der Wasserpfeifen glänzen frisch poliert.

Dieses Kaffeehaus ist eines der besseren Sorte. Da mag mich die aufgeribbelte Sitzfläche meines Flechtstuhls pieken, solange sie will. Ich kann es empfehlen. Speisenkarten und Aschenbecher, Getränkereklame und Wandbilder, Billardtische, Kübelpflanzen, Zigarettenautomaten – all diese aufdringliche Dekoration gibt es nicht. Musik auch nicht. Dafür ein TV-Gerät mit etwas Schneetreiben. Zum Glück lenkt es nicht vom Erleben des spätnachmittäglichen Treibens in diesem Viertel ab. Der Fernseher ist drinnen, ich bin draußen: Autos bahnen sich tutend ihren Weg, wirbeln Müll und Straßenstaub auf. Leute drängeln auf dem Weg nach Hause an den Verkaufsständen vorbei. Oder bleiben stehen und kaufen ein. Am Obststand vollgestopfte Körbe mit Bananen, Trauben und vor allem Mangos – es ist Mangosaison. Dahinter ein Gemüsestand: Schwarz gekleidete Frauen stehen mit Plastiknetzen an. Neben dem Stand hockt ein alter Mann auf einem Stuhlwrack. Er trägt eine taubenblaue Galabia (Kaftan sagt der Westler) und schneidet sich die Fußnägel. Die Nägel fallen neben das Gemüse. Eine Horde Kinder läuft krakeelend vorbei, ein Bub bleibt stehen und schlägt mit einem Stock auf eine Kiste mit lebenden Hühnern. Ein Mann kommt und gibt dem Jungen eine Ohrfeige. Das Geplärr geht im Sägen eines Jawa-Mopeds unter, das blaue Abgaswolken ausstößt. Dessen Fahrer trägt Latschen, der Sozius hat eine Leiter geschultert.

Ich bestelle eine Wasserpfeife. Tabak mit Honiggeschmack hätte ich gerne, sage ich dem Jüngling mit Hemd. Der mit Apfelgeschmack ist auch gut, antwortet er mir. Das möchte ich nicht bestreiten, bestehe aber dennoch auf Honig. Ich mag kein Obst rauchen. Nach einer Weile bringt ein würdig aussehender Herr die Pfeife. Er arrangiert glühende Holzkohlestückchen auf dem Aluminiumpäckchen mit dem Tabak und reicht mir ein neues Mundstück. Ich sauge. Es ist Apfel. Ich bin eben aus dem Westen.

Ja, ich könnte dieses Kaffeehaus sehr empfehlen. Es ist leicht zu finden: Man fahre mit der U-Bahn aus dem Stadtzentrum heraus bis zur Station Mari Girgis, überquere die Bahngleise (die U-Bahn fährt hier längst oberirdisch) auf der Fußgängerbrücke Richtung Nil und gehe noch ein wenig geradeaus – schon ist man da. Sollten jetzt Befürchtungen laut werden, der Besuch des Lokals hätte unweigerlich etwas mit großartiger Hitze, schönem Krach und veritablem Gestank zu tun, dann stimmt das haargenau. Aber es gibt auch Alternativen in der 18-Millionen-Metropole. Gerade richtig für uns Westler. Eine davon ist im Ramses Hilton. Der Aufzug spuckt einen nach 32 Stockwerken aus ins „Windows Of the World“. World-culture-Getue in Clubsesselatmo: Schalldicht und air-conditioned eingebüchst, speist man Kanapees mit Räucherlachs bei El Condor Pasa live auf dem Vibrafon. Ein rothaariger Kellner serviert die Drinks. Cocktails heißen Kleopatra oder Nerfertiti, kosten 24 ägyptische Pfund (etwa 18 Mark) und können über eines nicht hinwegtäuschen: Hier bleibt der Orient draußen. Garantiert. Ich würde jetzt gerne vom Besuch dieses Lokals abraten, gäbe es da nicht diese wunderbare Kleinigkeit, die alle Abscheulichkeiten aufwiegt: der großartige Blick auf die Stadt! Besonders am späten Abend lohnt sich das Panorama. Dann leuchtet Kairo drunten wie ein Sternenfeld.

MICHAEL KOCH