Glaubensfragen

Amerikas Religiosität widerlegt die gängige soziologische Theorie, wonach eine Nation umso säkularisierter wird, je entwickelter sie ist. Gehörten am Ende der Amerikanischen Revolution im 18. Jahrhundert ganze siebzehn Prozent der Bevölkerung einer Kirche an, stieg die Zahl während des Bürgerkriegs im 19. Jahrhundert auf 37 und liegt heute bei sechzig Prozent.

In den USA gab es Mitte der Neunzigerjahre eine halbe Million Kirchen, Synagogen, Moscheen und etwa zweitausend Konfessionen sowie eine unbekannte Zahl unabhängiger Freikirchen.

Während in Westeuropa kaum zehn Prozent der Bevölkerung regelmäßig in die Kirche gehen und nur etwa ein Viertel an Gott glaubt, haben neun von zehn Amerikanern an der Existenz Gottes nie gezweifelt, glauben acht von zehn Amerikanern, dass sie vor Gottes Thron werden Rechenschaft ablegen müssen, und siebzig Prozent geben an, Mitglied einer Religionsgemeinschaft zu sein. Sechzig Prozent der Amerikaner besuchen regelmäßig Gottesdienste.

Der religiöseste Bevölkerungsteil Amerikas sind die Afroamerikaner. 82 Prozent gehören einer Kirche an und sagen, dass Religion in ihrem Leben sehr wichtig ist. Sechzig Prozent der Amerikaner sind Protestanten, 25 Prozent Katholiken, zwei Prozent Juden (das ist ein Schwund von zwei Prozent gegenüber 1950), je ein bis zwei Prozent gehören anderen Glaubensgemeinschaften an, als da sind orthodoxe Christen, Buddhisten, Muslime, Hindus – deren genaue Zahlen sind allerdings unbekannt.

63 Prozent der US-Wähler bewerten in diesem Wahljahr die so genannten Evangelikalen Kirchen (jene Kirchen, deren Gläubige die Bibel wörtlich ausgelegt wissen wollen und die die Massenbasis für die so genannte Christliche Rechte stellen) positiv, gegenüber nur 41 Prozent vor vier Jahren. Sechzig Prozent der Demokraten bewerten die Evangelikalen positiv, gegenüber nur 27 Prozent 1996.

1996 hielten noch 47 Prozent der Wähler die Republikaner für die Hüter religiöser Werte, in diesem Jahr sind es nur noch 39 Prozent, während inzwischen ein volles Drittel der Wähler die Demokraten für die besseren Sachwalter religiöser Werte halten. Dagegen sehen nur noch dreizehn Prozent der Wähler die Republikaner im Bunde mit der Christlichen Rechten – gegenüber zwanzig Prozent vor vier Jahren.

Siebzig Prozent der Amerikaner wollen, dass ihr Präsident gläubig ist, siebzig Prozent lehnen Atheisten ab. „Während ein Schwuler heute in Amerika durchaus wählbar ist, hätte ein bekennender Atheist keine Chancen“, sagt Harvard-Politologe Isaac Kramnic. Etwas mehr als die Hälfte der Amerikaner aber wollen nicht, dass Kandidaten ihre Religiosität zur Schau tragen und darüber reden.

Erstaunliche Zahlen förderte eine Mitte September veröffentlichte Umfrage des „Pew Forum on Religion and Public Life“ zutage: In der umstrittenen Frage, ob Kirchen Steuermittel bekommen sollen, um soziale Aufgaben des Staates zu übernehmen, ist eine knappe Mehrheit (54 Prozent) dafür. Unter Demokraten liegt die Rate der Zustimmung mit 61 Prozent sogar höher als bei den Republikanern mit 46 Prozent. Dieses Ungleichgewicht kommt durch die schwarzen Gläubigen zustande, die zu 74 Prozent die Delegierung von staatlichen Aufgaben an die Kirchen befürworten.