Revolution mit Zins und Zinseszins

Probleme für das Kaufhaus Variedades in Havanna, früher Woolworth: Forderungen der US-Alteigentümer an Kuba

HAVANNA taz ■ „Variedades“, das spanische Wort für „Vielfalt“, so nennt sich eines der größten Kaufhäuser Havannas. Doch das Angebot in dem vierstöckigen Gebäude an der Straßenecke San Rafael/Galeano, dem Kurfürstendamm der kubanischen Hauptstadt, ist mehr als spartanisch. Endlose, leere Verkaufstresen durchziehen die weiten Säle. Zwischendrin bilden einzelne Regale Inseln begrenzter Einkaufsfreude. Feilgeboten werden uralte Abflusssiebe aus Blech, Aluminiumschöpfkellen, vergilbte Basthüte. Am kaufhauseigenen Imbiss sind die Erfrischungsgetränke gerade wieder ausgegangen. Immerhin gibt es Brötchen mit „Croquetas“, dem undefinierbaren kubanischen Fleischersatz. Während die Gäste in der Hitze der Mittagsstunde gemeinsam mit dem Personal an der Theke dösen, erinnert sich Verkäuferin Gracia Loredo (57) an bessere Zeiten: „Als ich als Kind hierher kam, gab es alles und die Regale waren voll. Damals war das noch ein amerikanisches Geschäft.“

Bis zur kubanischen Revolution 1959 gehörte das Kaufhaus Variedades dem Woolworth-Konzern. Es war bekannt unter dem Namen „10 Cents“. Das Unternehmen besaß im ganzen Land elf Filialen, fünf davon in Havanna – und alle wurden laut einer Veröffentlichung vom 24. Oktober 1960 von Fidel Castros Revolutionären enteignet. Bis heute halten Woolworth und hunderte weiterer US-Unternehmen an ihren Ansprüchen auf Entschädigung fest. Der gegenwärtige Wert der rund 5.900 Klagen vor US-Gerichten beläuft sich auf geschätzte 21 Milliarden US-Dollar.

„In den Siebzigerjahren gab es hier Fernseher und Kühlschränke aus der Sowjetunion, Waschmaschinen aus der DDR“, sagt Gracia Loredo, „und die Leute konnten sie sich endlich leisten.“ Mit dem Sozialismus in Osteuropa verschwanden dann all die schönen Sachen, die einstmals zum Alltag der Kubaner gehörten. Doch bald soll alles anders werden. Das kubanische Staatsunternehmen Imagenes S. A. will Variedades schließen, renovieren und zu einem Kaufhaus für den gehobenen Bedarf ausbauen. Dann allerdings müssen die Kunden teilweise mit US-Dollar bezahlen, was wohlhabende Kubaner anlockt und breite Bevölkerungsschichten ausschließt, die nur über die Landeswährung Peso verfügen.

Doch je attraktiver das Geschäft, desto mehr drängen die früheren Besitzer auf Entschädigung. „Wir verfolgen die Sache weiter“, sagt Peter Brown, Sprecher der Venator Group, dem Rechtsnachfolger von Woolworth. Bei der „Kommission für Ansprüche im Ausland“ des US-Justizministeriums liegt ein Urteil, das Woolworth in den Sechzigerjahren rund zehn Millionen US-Dollar zusprach. Vierzig Jahre Zinsen und die Wertsteigerung der lukrativen Immobilien eingerechnet, könnte die heutige Summe leicht das Fünffache erreichen – ein Betrag, der, falls irgendwann fällig, Imagenes vor große Probleme stellen dürfte.

Der stellvertretende Präsident der US-Handelskammer, Craig Johnstone, berichtete kürzlich, kubanische Regierungsvertreter hätten angeboten, Gespräche über Entschädigungen mit den betroffenen Unternehmen in den USA aufzunehmen.

„Die Chancen für einen Ausgleich haben erheblich zugenommen“, erklärt auch Carlos Lechuga. Das führt der ehemalige kubanische Botschafter bei den Vereinten Nationen (UN) jedoch nicht auf einen Sinneswandel seiner Regierung zurück. „Kuba war immer bereit, über Entschädigungen zu diskutieren.“ Was sich ändere, sei die Situation in den USA. Die Hardliner der Exilkubaner, so Lechuga, hätten an Einfluss eingebüßt und viele US-Firmen befürchteten, den kubanischen Markt an die Kanadier und Europäer zu verlieren. Lechuga stellt freilich klar, dass das Kaufhaus Variedades und andere Firmen niemals an ihre früheren Besitzer zurückgegeben würden: „Die Revolution ist unumkehrbar.“ Rückgabe vor Entschädigung wie in Ostdeutschland komme nicht in Frage.

Den großen politischen Wurf in der Entschädigungsfrage werde es so schnell nicht geben, hört man dagegen aus Kreisen der US-Interessenvertretung in Havanna, der provisorischen Botschaft. Schließlich habe Kuba immer wieder Pro-forma-Angebote ohne Substanz gemacht. Als Beleg führen US-Regierungsvertreter an, dass Kuba die Schadensersatzansprüche nordamerikanischer Firmen mit den angeblichen Verlusten durch die US-Blockade gegen die Karibikinsel verrechnen und so gegen null drücken wolle.

Einzellösungen freilich gibt es schon heute. Eine europäische Telefonfirma, die in ein kubanisches Joint Venture investiere, so berichten US-Kreise, habe sich gegenüber dem amerikanischen Telekom-Konzern AT & T bereit erklärt, eventuell anfallende Entschädigungen später mitzufinanzieren. Welche Lösung für das Kaufhaus Variedades und die übrigen früheren US-Besitzungen in Frage kommt, will die US-Handelskammer in den kommenden Monaten mit Kuba und den betroffenen US-Firmen ausleuchten. HENNO OSBERGHAUS
HANNES KOCH